Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
Vom Netzwerk:
Schläfer aus der Vergangenheit stößt. Es gibt nur noch wenige von euch, in meinem ganzen Leben habe ich erst zwei gefunden, und ich war schon an vielen Orten, das kannst du mir glauben.«
    »Willst du mir erzählen, ich bin wie sie? Ich lag in dieser Art von Koma? Und alle anderen Menschen schlafen auch?«
    »Welche anderen?« Columbus hustete und rieb sich die sehnigen Hände. »Die Zeit der Menschheit ist ausgeträumt, unsere Clans sind nur noch die kläglichen Reste der alten Kulturen, die es vor dem Weltende gab. So gesehen bist du ein Wunder. Es gibt von euch vielleicht noch einen oder zwei in jeder Stadt. Und noch nie ist einer von euch aufgewacht. Ich frage mich, wie du das angestellt hast.«
    Einer von euch .
    Jay griff nach seinem Handy, bis ihm siedend heiß einfiel, dass es nicht mehr da war.
    »Es gibt doch noch Funkkontakt, nicht wahr?«, fragte er mit schwacher Stimme. »Meine Mutter ist in Deutschland, in Berlin. Ich muss wissen, was aus ihr geworden ist! Vielleicht schläft sie auch, vielleicht …«
    Columbus zog die Brauen zusammen und musterte ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Ungeduld. »Deutschland, hm?« Er seufzte und rieb sich über die geschwollenen Augen. Mit einem Mal sah er sehr müde und sorgenvoll aus.
    »Ich versuche, es dir zu erklären. Wir – Ivy, Faye und ein paar andere Leute – sind Mitglieder des Island-Clans. Unsere Vorfahren stammen von dieser Insel. Offenbar waren sie klug genug, sich gleich zu Beginn der Dunkelheit in den Untergrund zu flüchten. Wir wissen nicht, warum sie überlebt haben, vielleicht kannten sie sich einfach besser mit der Geisterwelt aus und wussten die Zeichen zu deuten. Als die Sonne wieder hervorkam, war alles anders. Sie waren die Einzigen, die noch lebten. Nach zwei Generationen wagten sie sich über das Meer und segelten zum Kontinent. Sie hofften, dort Leben vorzufinden, Menschen und Völker, aber sie stießen nur auf Verwüstung und vereinzelte Stämme auf dem Festland, die ebenso suchten wie sie. Alle Städte dieser Welt sind leer, soweit sie überhaupt noch existieren.«
    Jay hörte die Worte, aber es war absolut unmöglich, sie zu begreifen. 2012, der Film , dachte er. Das Ende der Welt. Und hier Teil II – »Was danach geschah«. Es war einfacher mit dieser Distanz, sie legte sich wie eine dämpfende Schicht aus Watte zwischen Columbus’ Worte und ihn.
    Der alte Mann trat zu einem Plastikglobus, der in der Ecke stand. Er war bekritzelt, als hätte ein Schüler Langeweile gehabt. Mit dem Zeigefinger versetzte der Alte der Kugel einen Schubs. Eiernd drehte sie sich ein Stück, bis Columbus sie an der Stelle stoppte, wo sich Europa befand. Dicke rote Linien schraffierten das Gebiet. »Vor hundert Jahren gab es einen blitzartigen Klimawechsel. In den Wüsten fiel Schnee, überall auf der Welt brachen Vulkane aus, Aschewolken verdunkelten den Himmel. Es gab Erdbeben, Stürme, Fluten und eine ruckartige Verschiebung von Kontinenten. Das, was du Deutschland nennst, ist untergegangen, schon zu Beginn der dunklen Zeit. Und auch diese Länder hier, Holland, Belgien, Polen und Frankreich, sind damals zum Teil einfach abgesackt und untergetaucht, ein Riesengraben, siehst du? Dein Deutschland ist ganz weg. Nur noch Meer. Ich habe es gesehen, ich war vor vierzig Jahren dort. War meine erste Expedition als Navigator.«
    Jay rang nach Atem, doch es war, als wäre jedes Restchen Luft aus dieser stickigen Gruft gesaugt worden. Aber es war besser zu ersticken, als sich all das vorzustellen. Charlie. Tot. Untergegangen mit einem ganzen Land. Meinem Land.
    »Soweit ich weiß, haben sich nur wenige Stämme in den Resten der alten Welt auf dem anderen Kontinent angesiedelt«, fuhr Columbus mit dieser schrecklichen, ungerührten Sachlichkeit fort. »Zum Beispiel in der ehemaligen Türkei, in den unterirdischen Felsstädten Kappadokiens, die es schon seit Tausenden von Jahren gibt. Faszinierend, oder? Dass die ältesten Bauwerke tatsächlich am längsten überdauern.«
    *
    Er kannte das Foyer des Museums aus dem Reiseführer und aus Filmen – eine von roten Marmorsäulen gestützte Halle, in der Dinosaurierskelette die Besucher begrüßten. Staub lag dicht wie Schnee auf dem Marmorboden, und das Licht, das durch eine bogenförmige verkrustete Fensterfront ganz oben an der Decke fiel, war grünlich diffus und geisterhaft. Moos und Schimmel färbten Wände und die einst prächtige Decke. Die Saurierskelette standen noch. Spinnweben umhüllten ihre Rippen

Weitere Kostenlose Bücher