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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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wollen wie in einen Kokon , dachte Ivy. Und auch jetzt ist er in Gedanken dort.
    »Soll ich dir helfen?«
    Er zuckte zusammen, als würde er sich ihrer Gegenwart erst jetzt bewusst. Ein schmerzlicher Zug lag um seinen Mund und seine Augen waren umschattet, was ihm allerdings etwas sehr Anziehendes verlieh.
    »Nein, das schaffe ich allein.« Verbissen kämpfte er weiter mit dem Bündel und dem Seil. Wie ein Wolf, der sein Nackenfell sträubt . Wie so oft in den letzten Tagen wusste sie nicht, ob sie ihn trösten oder anschreien wollte. Sie musste daran denken, wie sie ihn mit Madison hatte lachen sehen, und wieder gab es ihr einen Stich.
    Verärgert schüttelte sie sich den Regen aus dem Haar und hob ein vergilbtes Tuch auf, um sich abzutrocknen. Sie konnte Jays missbilligenden Blick spüren. Und gleichzeitig fühlte sie, wie sich die Härchen an ihrem Unterarm aufstellten, als ein knisternder Hauch über ihre Haut strich, ein untrügliches Zeichen für eine weitere Gegenwart. »Dein Gespenst leistet dir wieder Gesellschaft.«
    »Allerdings«, murmelte Jay. »Sie macht dich darauf aufmerksam, dass du dir die Haare mit einem wertvollen Tuch aus der Pazifik-Ausstellung in der Margaret-Mead-Halle abtrocknest. Es ist Hunderte von Jahren alt. Und ziemlich kostbar.«
    »Hier hat es nur den Wert eines Tuchs«, erwiderte Ivy gereizt. »Und die Meinung von Miss New York kann mir gestohlen bleiben. Richte ihr das aus.«
    »Nicht nötig. Sie hört dich.« Über das Podest hinweg funkelten sie sich an. Dann warf er das Seil hin, drehte sich um und ging mit großen Schritten hinaus. Für einen Moment verließ sie aller Mut. Und dennoch konnte sie nicht anders, als ihm nachzublicken. Sein federnder Gang erinnerte sie an den Jay, der sich mit den Raubtieren um den Ball balgte, rannte und lachte. Einige Augenblicke kämpfte sie gegen den Impuls an, ihm hinterherzugehen und mit ihm zu sprechen, aber dann seufzte sie und blieb. Sei vernünftig , schalt sie sich. Du brauchst dein Herz für andere Dinge.
    Als sie sich umwandte, sah sie, dass ihre Schwester sie aufmerksam beobachtete. Und aus irgendeinem Grund fühlte sie sich ertappt.
    »Sei nicht so hart zu ihm, Ivy.«
    »Ich bin hart zu ihm? Er ist doch die ganze Zeit wütend auf mich.«
    Zu ihrer Überraschung lachte Faye. »Und du bist nicht zornig? Tja, eines hat sich wohl auch in hundert Jahren nicht geändert: Menschen nehmen es übel, wenn jemand ihnen ihre Träume stiehlt. Jay hat alles verloren, was ihm am Herzen lag. Und im Moment bist du für ihn die Diebin. Du dagegen lernst gerade, dass sich eine Wunde nicht schließt, nur weil man einen Schläfer rettet.«
    Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit. Hastig wandte sie den Blick von Fayes kurzen Haaren ab. »Du weißt genau, das ist was völlig anderes!«
    »Ist es das? Vielleicht ja. Na ja, du weißt es sicher besser, du bändigst schließlich die Geister.«
    Sie zwinkerte Ivy zu, dann strich sie sich mit beiden Händen über das Schleierkleid. »Jay hat mir erzählt, dass das hier ein Ritualkleid war. Zu seiner Zeit hat eine Frau es an dem Tag getragen, an dem sie sich mit einem Mann verbunden hat. Das nannte man ›Hochzeit‹.«
    Wie schön, mit dir redet er also , dachte Ivy missmutig.
    Faye drehte sich einmal um sich selbst und der Rock wirbelte raschelnd durch die Luft und hinterließ einen Kometenschweif tanzender Stäubchen in der Luft. »Glaubst du, das Kleid wird Tom gefallen?«
    »Du bist doch schon lange mit ihm verbunden. Ihr habt zwei Kinder. Wozu also dieser Zauber aus einer vergangenen Zeit?«
    Faye zuckte die Schultern. »Du hast recht, aber ich nehme es trotzdem mit.« Sie zog sich das weiße Wolkenkleid über den Kopf und stand in ihren Hosen und ihrem gefütterten Lederhemd da. »Aus dem Rock können wir eine Hängematte für die Kinder machen oder eine Fischreuse.« Mit diesen Worten streifte sie sich wieder ihre Pelzjacke aus Kojotenfell über. Nun hatte sie nichts Feenhaftes mehr, sie war wieder die Fallenstellerin und Jägerin.
    »Weißt du, ich glaube, er mag dich«, sagte sie beiläufig, während sie das Wolkenkleid zu einem Bündel zusammenballte und in einen knisternden Sack stopfte.
    Ivy schluckte. In ihrem Zwerchfell flackerte diese kleine Flamme auf, die sie sonst immer nur dann aus der Fassung brachte, wenn Jay ihr zu nahe kam. Sosehr sie auch versuchte, sich diese Regung zu verbieten, ihr ungehorsames Herz verriet sie jedes Mal. Auch jetzt schlug es plötzlich wieder bis zum Hals, und

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