Zweite Chance fuer die Liebe
es kein Zögern gegeben, da hatten sich ihre Lippen geradezu gierig unter seinen geöffnet.
Wieso bloß konnte er nicht aufhören, daran zu denken? Es war sechs Jahre her, Herrgott! Er konnte sich nicht einmal an die Haarfarbe seiner letzten Gespielin erinnern, aber wenn er Lily dabei beobachtete, wie sie an der Teetasse nippte, wusste er noch genau, wie ihr Mund geschmeckt hatte. Wie empfänglich sie auf sein Streicheln und seinen Kuss reagiert hatte! Doch wahrscheinlich hatte sie unter Drogen gestanden. Jedenfalls war das eine Frage, die ihm des Öfteren den Schlaf geraubt hatte.
„Ich komme mir vor wie in einer Reality-Show“, sagte Lily und bemühte sich, freundlich zu klingen. „Nur lächelt der Gastgeber da normalerweise, und es gibt auch noch andere Gäste …“
Immerhin gelang es ihm durch ihren abwegigen Kommentar, den Blick endlich von ihren Lippen loszueisen. Die Falte auf seiner Stirn wurde tiefer – wegen des nicht abzustreitenden Verlangens, das er für eine Frau verspürte, die unter seiner Würde war.
„Na schön“, fügte sie hinzu, „ich nehme an, du willst nicht von mir wissen, welche Schuhgröße ich habe … warum sagst du mir dann nicht einfach, was jetzt als Nächstes kommt?“
„Deine Schuhgröße kenne ich schon.“ Irgendein Teufel ritt ihn, stachelte ihn an, sie genauso aus dem Gleichgewicht zu bringen, wie sie ihn. „Und deine Jeans-, deine BH- sowie deine Slipgröße.“
„Das ist Missachtung der Privatsphäre!“, fauchte sie.
Er lehnte sich lässig im Stuhl zurück. „Verklag mich doch.“ Es befriedigte ihn zu sehen, wie das glatte Lächeln von ihrem Gesicht schwand. Er brauchte ihre halbherzige Freundlichkeit nicht. Um genau zu sein, er brauchte gar nichts von ihr.
Lily platzte fast vor Wut. Wie konnte er es wagen?! Saß da auf seinem Schreibtischstuhl wie auf einem Thron! Dann erinnerte sie sich an ihren Vorsatz: höflich-reserviert …
Stell dir einfach vor, er wäre ein schwieriger Regisseur, mit dem du für eine Weile arbeiten musst.
Das Klingeln seines Handys sorgte für eine willkommene Abwechslung. Mit dem Apparat am Ohr stand er auf und stellte sich an die breite Fensterfront. Lily folgte ihm mit dem Blick. Durch das Glas sah man die imposante Skyline von London, außerdem Big Ben, Westminister Abbey und das London Eye. Eine Aussicht, für die man normalerweise bezahlen musste – hier gab es sie gratis.
Dann allerdings verselbstständigten sich ihre Blicke und wanderten zu dem Mann zurück, der mit dem Rücken zu ihr stand, eine Hand mit dem Handy am Ohr, die andere in die Hosentasche geschoben, und fließend in einer Sprache redete, die sie nicht erkannte. Er war wirklich ein beeindruckendes Exemplar der männlichen Spezies. Wenn man überlegte, dass er eine sitzende Tätigkeit ausübte, musste er wohl regelmäßig im Fitnessstudio trainieren, um sich derart fit zu halten.
Ihr Magen meldete sich knurrend. Lily nahm eins der Sandwiches vom Tablett und kaute lustlos. Sie verstand beim besten Willen nicht, weshalb sie so stark auf jemanden reagierte, den sie nicht ausstehen konnte. Es nur auf Stress und Müdigkeit zu schieben reichte nicht mehr aus. Der Verstand musste doch auch etwas zu entscheiden haben, selbst wenn es um körperliche Anziehung ging, oder?
Tristan beendete den Anruf, steckte das Handy in die Hosentasche und kehrte an den Schreibtisch zurück, blieb aber hinter seinem Stuhl stehen. „Ich muss schon sagen … für jemanden, dem möglicherweise zwanzig Jahre Gefängnis bevorstehen, wirkst du erstaunlich gelassen.“
„Ich vertraue darauf, dass das Universum das regelt. Am Ende wird sich alles klären.“
„Das Universum? Was denn, Sonne, Mond und Sterne?“
Sie weigerte sich anzubeißen, auch wenn er spöttisch eine Augenbraue in die Höhe gezogen hatte. „Nein, nicht wie du das meinst. Das Universum ist ein Kraftfeld, das wir für uns und andere kreieren. Positives Denken kann vieles beeinflussen.“
Er legte den Kopf schief, als würde er wirklich darüber nachdenken. „Nun, wenn das so ist, würde ich sagen, dein Universum hat heute entweder geschlafen, als du durch den Zoll gelaufen bist, oder aber du bist wirklich schuldig.“
Lily verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe vollstes Vertrauen in die Behörden. Die Beamten wissen, was sie tun.“
„Die Beamten wollen dich hinter Gittern sehen.“
Sie hob ihr Kinn. „Willst du mir Angst einjagen?“
„Vermutlich würde das nicht einmal dem Sensenmann gelingen.
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