Zweite Chance - zu dritt
sollte er anfangen? Kate sah so aus, als könnte sie eine Schulter zum Ausweinen gebrauchen. Cassidy hatte inzwischen vom Schreien einen roten Kopf.
In dieser tränengeladenen Situation hieß es Ärmel aufkrempeln und zupacken.
„Du kannst sie mir ruhig mal geben“, schlug er vor.
Cassidy weinte wieder los, und Jared biss die Zähne zusammen.
Kate kehrte ihm den Rücken zu und ging ein paar Schritte voraus. „Ich habe sie gerade ganz gut.“
Jared war sich keineswegs sicher, dass es ihm besser ergehen würde als Kate, aber er schuldete den beiden einen Versuch.
„Ja, aber jetzt bin ich ja hier“, stellte er fest. „Leg dich ein bisschen schlafen.“
„Mir geht’s gut.“
Das war gelogen. Er sah die Müdigkeit in ihren Augen und die Anspannung auf ihrem Gesicht. Aber das war Kate, wie er sie kannte: niemals Schwäche zeigen.
„Wir stehen das hier zusammen durch“, erklärte er ruhig.
Nicht dass er wusste, was er mit Cassidy anfangen sollte. In Wahrheit war ihm der Gedanke, ein schreiendes Baby im Arm zu halten, so angenehm wie ein Besuch vom Steuerprüfer. Aber er musste einfach etwas tun.
Kate reagierte nicht. Sie schwankte nur leicht mit dem Baby auf dem Arm.
Spannung hing in der Luft. Cassidy jammerte.
Wenn Kate sich so verhielt und ihren Kopf durchsetzen musste, hatte es normalerweise zwischen ihnen immer einen lautstarken Zusammenstoß und nachher eine heiße Versöhnung im Bett gegeben. So verlockend die Vorstellung war, Jared vertrieb sie sofort.
Diese neue, überforderte Kate rührte und faszinierte ihn. Sie wirkte weniger beherrschend und beherrscht, ja, verletzlicher als sonst, wenn sie der Welt ihre übliche makellose Erscheinung zuwandte. Anziehender. Nicht, dass er das je laut gesagt hätte.
Cassidy stieß die Fäuste in die Luft, als wollte sie sich für eine zweite Runde im Ring bereit machen.
Jared streckte die Arme aus. „Bitte. Ich möchte sie auch gern mal halten. Sie hat mir gefehlt.“ Genau wie du. Aber auf dieses heikle Gebiet wollte er sich fürs Erste lieber nicht wagen.
„Bist du sicher?“, fragte Kate.
„Absolut.“
Mit einem kaum merklichen Zögern reichte Kate ihm das Baby. Als ihre Hände sich dabei flüchtig streiften, empfand er die Berührung wie einen elektrischen Schock.
„Hallo, meine Süße“, sagte er zu Cassidy.
Durchdringendes Geschrei antwortete ihm.
„Ist das eine Art, mich zu begrüßen?“
Mehr Geschrei.
Jared drückte das warme Bündel an sich, und der Babyduft hüllte ihn ein. Cassidy wand sich ein wenig, dann seufzte sie tief. Und auf einmal erschlaffte der ganze kleine Körper. Ein zufriedener Ausdruck breitete sich auf Cassidys Gesicht aus, und Jared schmolz dahin. Er lächelte. „Hast du Kate das Leben schwer gemacht, hm?“
Kate strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Abgesehen davon, dass sie nicht schläft, ist sie wunderbar.“
Cassidy patschte ihm mit ihrer kleinen Hand ans Kinn und brabbelte friedlich vor sich hin.
Gerührt tippte Jared ganz vorsichtig mit dem Finger an ihr Näschen und antwortete ihr in derselben unverständlichen Babysprache.
Als Cassidy über das ganze kleine Gesicht strahlte, war es endgültig um Jared geschehen. Er wiegte sich sacht vor und zurück und sah sich dabei mechanisch im Wohnzimmer um. Wie üblich sah es aus, als wäre es soeben für eine Hochglanz-Wohnzeitschrift fotografiert worden: Jedes Ding hatte seinen festen Platz. Selbst die Zeitschriften auf dem Sofatischchen lagen säuberlich nebeneinander aufgereiht. Nicht, dass er etwas anderes erwartet hätte. Kate war eine Ordnungsfanatikerin, außerdem kam jede zweite Woche eine Putzfrau.
Nur Susans und Bradys Kartons fehlten.
„Waren die Spediteure da?“, fragte er.
Kate nickte.
„Wo hast du das alles hingeschafft?“
„Manches in Cassidys Zimmer“, sagte Kate. „Der Rest steht auf dem Dachboden oder in der Garage.“
„Das muss eine Menge Arbeit gewesen sein.“
„Ich habe jemand bezahlt, der die Kartons ausgepackt und weggeräumt hat.“
Wie sie es immer tat, wenn etwas erledigt werden musste. Kate führte den effizienten Haushalt einer Frau, die sechzig und mehr Stunden die Woche im Büro arbeitete.
Jared musterte das Zimmer. Sofa und Tisch waren die alten, aber die Wände hatten sich irgendwie verändert.
„Du hast die Wohnung neu streichen lassen“, bemerkte er.
„Letzten Monat habe ich alles ein bisschen erneuert“, entgegnete Kate leichthin.
Sie hatte ihr Leben erneuert. Und ihr Haus erneuert.
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