Zwergenbann: Roman
ihre Hand zurück, öffnete die Augen wieder und sah Breesa bittend an, aber die Priesterin schüttelte den Kopf.
»Ich tue für ihn, was ich kann, sonst wäre er bestimmt schon nicht mehr am Leben. Aber ich kann ihm nicht zu viel meiner eigenen Kraft zukommen lassen, nicht mehr, als er wirklich braucht, sonst würde ich mehr Schaden als Nutzen anrichten und ihn innerlich verbrennen. Ihr wisst das, schließlich habt Ihr dieses Amt selbst lange Zeit ausgeübt. Er muss diesen Kampf alleine führen, ich kann ihn nur behutsam dabei unterstützen.«
Tharlia nickte bedrückt. Sie wünschte, es gäbe etwas, das sie für Orwan tun könnte. Nicht allein aus Mitleid, so groß es auch sein mochte, wenn sie jetzt auf den jungen Mann hinabblickte. Aber es hing auch so ungeheuer viel davon ab, dass er am Leben blieb. Fast hasste sie sich selbst für diesen pragmatischen Gedanken, doch als Königin war sie verpflichtet, in erster Linie an das Wohlergehen des ganzen Volkes zu denken.
Sie hatte Erkundigungen über Orwan eingeholt. Er galt bei seinen Kameraden als fröhlich und idealistisch, lediglich sein Streben, unter allen Umständen Ruhm und Ehre zu erwerben, wurde von einigen Vorgesetzten als fast krankhaft ehrgeizig bezeichnet, weshalb sie ihn immer wieder hatten bremsen müssen, damit er nicht zu tollkühn wurde. Er hatte unbedingt ein Held werden wollen. Auch wenn er es nicht ahnen konnte und man wohl kaum jemals Lieder darüber singen würde, focht er momentan den wohl größten und wichtigsten Kampf seines Lebens; einen Kampf, der nicht nur über sein eigenes Überleben entscheiden würde, sondern möglicherweise das seines gesamten Volkes.
»Besteht eine Chance, dass er in nächster Zeit aufwacht?«, erkundigte sie sich.
Salos zuckte mit den Schultern.
»Möglich ist alles, aber ich halte es derzeit für nicht sehr wahrscheinlich. Und wenn, dann nur sehr kurz.«
»Und wie steht es mit Euch?«, wandte sie sich an Breesa. »Könnt Ihr ihn aufwecken, ohne den Heilungsprozess zu gefährden, damit er ein oder zwei Fragen beantworten kann? Ich würde
nicht fragen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Eine einzige Minute würde mir schon reichen.«
»Ich könnte ihn wecken«, erwiderte die Hohepriesterin zögernd. »Aber damit würde ich ihn nur quälen, und bei seinem hohen Fieber wäre es mehr als ungewiss, ob er Eure Fragen überhaupt verstehen, geschweige denn beantworten könnte. Und möglicherweise würde es ihn sogar töten, seine Heilung zumindest zurückwerfen.«
Enttäuscht verzog Tharlia das Gesicht, obwohl sie kaum etwas anderes erwartet hatte.
»Wie sind Eure Verhandlungen in Clairborn denn verlaufen?«, fragte Salos. »Habt Ihr beim Bürgermeister etwas erreichen können?«
»Ich werde den Hohen Rat später über alles informieren«, vertröstete sie ihn. »Jetzt möchte ich nicht darüber nachdenken.«
Natürlich gelang ihr das nicht; sosehr sie die Gedanken auch zu verdrängen versuchte, beschäftigte sie sich fast ohne Unterlass mit der Gefahr, die ein Krieg gegen die Menschen darstellen würde und die wie ein unsichtbares Schwert drohend über ihnen hing. Sie konnte nichts für Orwan tun, außer darauf zu hoffen, dass er ihre Gegenwart spürte und Kraft daraus schöpfte. Dennoch blieb sie lange bei ihm, nicht allein seinetwegen, sondern um den Moment der Wahrheit hinauszuzögern, in dem sie dem Rat Bericht über die Entscheidung Lavinions erstatten musste.
Obwohl die hitzige Debatte immer noch andauerte und weiterhin die schon mehrfach vorgebrachten Argumente ausgetauscht wurden, lehnte sich Tharlia nach einiger Zeit müde und erschöpft auf dem Thron zurück, schloss die Augen und zwang sich, für einige Momente weder hinzuhören noch an irgendetwas zu denken.
Die Sitzung des Rates war nicht annähernd so schlimm, wie sie erwartet hatte.
Sie war schlimmer.
Noch bis zum Betreten des Thronsaals hatte Tharlia mit dem Gedanken gespielt, erst gar nicht zu erwähnen, dass die Übeltäter bereits gefasst wären, und auch Thilus den Befehl zu geben, zu schweigen. Das würde ihr zumindest für ein paar Tage Luft verschaffen. Dennoch hatte sie sich dagegen entschieden und wahrheitsgemäß alles berichtet, was Lavinion ihr gesagt hatte. Binnen kurzer Zeit würde die Wahrheit ohnehin herauskommen. Dann wären die Ratsmitglieder zu Recht zornig auf sie, und es würde ihr noch schwerer fallen, sie von ihrer Sichtweise zu überzeugen.
Immerhin war der Rat zumindest in zwei gleich große Parteien
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