Zwergenblut: Roman
Kopf befinden musste, schwebten zwei wie unter einem inneren Feuer rötlich glühende Augen in der Luft. Ihr Blick schien sich in ihn hineinzubohren und lähmte ihn. Der Dolch entglitt seinen plötzlich kraftlos gewordenen Fingern und fiel klirrend zu Boden.
Die Panik in Lamar loderte zu einer hellen Flamme auf, doch er war unfähig, sich zu rühren, stand nur stocksteif wie eine Statue da. Er wusste, dass er verloren war.
Binnen weniger Sekunden hatte die Gestalt den magischen Mantel der Unsichtbarkeit vollends abgestreift. Sie war ganz in schwarzes, eng anliegendes Leder gekleidet. Geisterhaft bleiche Haut glänzte im Mondlicht. Auch die langen Haare des Fremden waren bleich, fast weiß rahmten sie ein schmales, von Hass verzerrtes Gesicht ein, das völlig von den rötlich glühenden Augen beherrscht wurde. Ihr Blick schien geradewegs in Lamars Kopf zu dringen.
Und dann vernahm er die Stimme.
Es war keine Stimme, wie er sie kannte. Er hörte sie nicht
mit den Ohren, sondern sie erklang direkt in seinem Geist, und sie sprach auch keine Wörter, die er kannte. Dennoch verstand er ihren Sinn. Am liebsten hätte er vor Schmerz geschrien, denn die Stimme erinnerte an grausame Messer, die durch seine Gedanken fuhren und sie zerlegten, als wollte sie auf diese Art mit brutaler Gewalt alles Wissenswerte aus ihm herausschneiden. Dabei galt das besondere Interesse des Dunkelelben Elan-Dhor und den verschütteten Zugängen dorthin sowie den Patrouillen und der kleinen Wachbastion am Fuß des Berges, worüber er kaum etwas wusste.
Nach einer Zeit, die Lamar wie eine schmerzdurchwobene Ewigkeit vorkam, zog sich die entsetzliche Stimme endlich aus seinem Verstand zurück, enttäuscht, wie es ihm vorkam, aber das registrierte er nur am Rande. In ihm gab es nur noch Pein, sein Geist war zerrüttet und unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Als die finstere Gestalt ihr Schwert zog und es ihm bis zum Heft in die Brust stieß, empfand Lamar es trotz des kurzen, zusätzlichen Schmerzes, der wie Feuer durch seinen Körper wütete, beinahe wie eine Erlösung. Sein letzter Gedanke galt Tharlia, die er nun niemals wiedersehen würde, dann sank er tot zu Boden.
»Mir gefällt das alles nicht«, brummte Barlok leise, während sie dem Elbenkrieger durch das Lager zu dem angeblich lebend gefangenen Thir-Ailith folgten. »Die Dinge laufen in eine falsche Richtung. Alles wird auf den Kopf gestellt.«
»Was meinst du damit?«, hakte Warlon ebenso leise nach.
»Hast du nicht gehört, was dieser Nagaron gesagt hat? Das war kein uneigennütziges Hilfsangebot. Etwas weniger freundlich ausgedrückt heißt es nichts anderes, als dass er
mit dazu beitragen will, dass wir Elan-Tart so schnell wie möglich aufgeben und aus der Nähe von Clairborn verschwinden. Wir sollen uns gefälligst nach Zarkhadul scheren, wo wir ein gutes Stück von allen Siedlungen der Menschen entfernt sind und so schnell kein weiterer Ärger zwischen unseren Völkern zu befürchten ist.«
»So habe ich es noch nicht betrachtet, aber sicher, du hast Recht. Natürlich hat er ein Interesse daran, weitere Auseinandersetzungen mit den Menschen in Clairborn zu verhindern.«
»Und Tharlia hat keinerlei Protest erhoben, so wenig wie Loton oder einer der Elben. Offenbar steht für sie alle die Umsiedlung unseres Volkes nach Zarkhadul bereits fest.«
»Das war doch schließlich auch der Sinn deiner ganzen Expedition hierher.« Warlon begriff nicht recht, worauf sein Begleiter hinauswollte. »Wir Zwerge können nicht über Jahre hinweg an der Oberfläche leben. Darüber hinaus misstrauen uns die Menschen und wollen uns nicht als Nachbarn, und nach allem, was ich gehört habe, fürchte ich, dass es immer wieder Konflikte mit ihnen geben wird, solange wir an der Oberfläche bleiben. Gerade du wärest auch misstrauisch gewesen, wenn stattdessen plötzlich zehntausende Menschen unter die Erde gezogen wären und in unmittelbarer Nähe von Elan-Dhor eine unterirdische Stadt errichtet hätten.«
»Natürlich, aber verstehst du denn nicht? Als wir an die Oberfläche flohen und hier eine Siedlung errichteten, war das nur eine vorübergehende Notlösung. Zarkhadul hingegen ist etwas anders. Bei dem ganzen Gespräch war nicht ein einziges Mal von der Rückeroberung Elan-Dhors die Rede. Ich glaube fast, dein Freund, der Waldläufer, hatte völlig Recht, als er befürchtete, wir würden uns mit dem
Verlust unserer Heimat abfinden. Spätestens, wenn wir erst einmal ein paar Monate
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