Zwergenkinder (04) - Der Kristall der Zwerge
Geschehnisse sind üble Zeichen, die auf eine Katastrophe hindeuten, wenn Ihr mich fragt.«
»Ganz so schwarz sollten wir nicht sehen«, meinte Ambaros.
»Auch wenn Ihr ein Wüstenzerstörer seid, Zentaur«, sagte der Whanur, »ich hoffe, Ihr habt recht. Also genießt die nächsten Tage in meiner Herberge. Es wird Euch an nichts fehlen. Mein Koch ist Mensch und versteht seine Kunst!«
»Wir sind sehr froh, das zu hören«, sagte Lirandil.
Selten hatten die Gefährten auf ihrer Reise eine so gute Unterkunft gehabt. Selbst in der Burg des Königs von Rugala war es vergleichsweise bescheiden gewesen. Die Zimmer der Herberge »Zur letzten Hoffnung« waren sehr groß und konnten bei vielen Gästen mit schweren Vorhängen unterteilt werden.
Auf dem Gang trafen die Gefährten auf eine uralte Echsenfrau, die sich nur langsam bewegte und sehr gebeugt ging. Ihre eigentlich grüne Haut wirkte grau, und zum Gehen stützte sie sich auf einen Stock.
Sie trug ganz nach Art der Whanur-Frauen sehr stark gemusterte Kleidung in grellen Farben. Tomli hatte gehört, dass sich das Sehvermögen der Whanur gänzlich von dem aller anderen Geschöpfe unterschied, weswegen die Whanur Farben anders wahrnahmen als ein Mensch oder Zwerg.
Lirandil sprach die Whanur-Frau in ihrer aus Zischlauten bestehenden Sprache an. Aber wie bei allen anderen Geschöpfen ließ auch bei den Whanur im Alter das Gehör nach, und so musste Lirandil besonders laut sprechen, damit ihn die alte Echsendame auch verstand.
»Das ist Ilbons Mutter«, stellte Lirandil sie vor. »Sie hat früher die Herberge geführt und sagt, dass wir sie rufen sollen, wenn es uns an etwas fehlt.«
»Ganz bestimmt«, murmelte Saradul unter seinem Halstuch hervor. Es klang dumpf und wirkte durch die Maskierung noch unfreundlicher, als er es wohl gemeint hatte.
Die Whanur-Frau wandte ruckartig den Kopf, die beiden Zungen schnellten aus ihrem Maul und umschlangen sich auf die gleiche Weise, wie die Gefährten es zuvor schon bei Ilbon gesehen hatten.
Dann sagte sie mit leiser, zischelnder Stimme, aber in sehr klar verständlicher Rhagar-Sprache: »Es riecht nach schlechter Laune und tiefem Schmerz, und das so stark, dass es auch eine uralte Echse wie ich merkt, obwohl meine Sinne schon sehr schwach geworden sind.«
Meister Saradul verdrehte die Augen. Dass ein so fremdes Geschöpf wie diese alte Echsenfrau sofort merkte, was mit ihm los war, missfiel ihm.
»Die alte Pracht wird wiederkehren«, sagte Ilbons Mutter, deren eigentlicher Name so unaussprechlich war, dass wohl nur Lirandil in der Lage gewesen wäre, ihn zu nennen.
»Jetzt ist es aber gut«, schimpfte Saradul.
»Glaubt Ihr, ich sehe nicht, was mit Euch los ist?«, fragte die alte Echsenfrau und ließ ihren Satz in einem zweistimmigen Zischeln enden. »Ich kenne mich mit Zwergen gut genug aus, um zu wissen, dass es nur zwei Gründe gibt, die Euch dazu bewegen könnten, Euer Gesicht zu verbergen. Entweder seid Ihr ein Straßenräuber, dann allerdings hätte mein Sohn Euch nicht hereingelassen …«
»Was Ihr nicht sagt«, grummelte Saradul.
»… oder Euer Bart …«
»Es freut mich sehr, Euch wiederzusehen«, schnitt Lirandil ihr schnell das Wort ab, um zu verhindern, dass sie weitersprach und Meister Saradul vor Wut platzte. »Ein halbes Echsenleben ist es her, dass wir uns trafen. Damals wart Ihr eine junge Mutter, deren Sohn gerade geschlüpft war.«
Die Augen der alten Echsenfrau, die so kalt und teilnahmslos gewirkt hatten, nahmen einen eigentümlichen Glanz an. »Ja, das ist lange her«, stimmte sie zu. »Und es entsetzt mich, wie sehr Ihr Euch seitdem verändert habt, Lirandil. Doch der Zahn der Zeit scheint an allem zu nagen.«
»Verändert?«, fragte Lirandil verwirrt. »Nun, meine Haare sind bereits vor vielen Zeitaltern ergraut – noch während der großen Seereise aus Athranor, bevor wir Elben ins Zwischenland kamen, aber …«
»Eure Haare und Euer Gesicht kann ich gar nicht mehr sehen«, sagte die alte Echsenfrau und ließ ihre Zungen für einen Moment hervorschnellen. »Meine Augen sind leider mit den Jahren sehr schwach geworden. Es ist Euer Geruch, Freund Lirandil, der sich verändert hat.«
Magier ohne Zauberstab
T omli und seine Gefährten versammelten sich im größten der Zimmer, die man ihnen zugewiesen hatte. Ambaros würde darin schlafen, denn es lag als einziges im Erdgeschoss. Zwar konnte der Zentaur durchaus Treppen steigen, aber je nachdem wie steil oder eng sie waren, war das für
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