Zwergenkinder (04) - Der Kristall der Zwerge
Fehler gemacht zu haben.
Der Fall des Mauerstücks verlangsamte sich, so als würde sich die Zeit dehnen.
Was war geschehen? Hatte seine Magie etwa die Zeit verändert? Es gab solche Zauberformeln, das wusste Tomli, doch ihre Anwendung war außerordentlich gefährlich. Selbst erfahrene Zaubermeister mieden sie, denn der kleinste Fehler konnte eine Katastrophe heraufbeschwören.
Hatte Tomli etwa schon wieder seine Kräfte falsch eingeschätzt?
Doch dann begriff er, dass sich die Zeit keineswegs dehnte, sondern dass seine Magie den Mauerbrocken daran hinderte, zu Boden zu stürzen. Seine Fallgeschwindigkeit war so langsam geworden, dass es fast den Anschein hatte, als würde er über der Gasse verharren.
Tomli senkte kurz den Blick und sah sich um. Er war völlig allein. Alle Passanten, die sich gerade noch in der Gasse gedrängt hatten, waren in Panik geflohen.
Auch Ambaros war fort.
Tomli jedoch konnte nicht einfach gehen. Wenn seine Kräfte nur ein wenig nachließen, würde der Steinbrocken sofort herunterkrachen, und dann gab es für ihn keine Rettung mehr.
Die Menge hielt sich in sicherer Entfernung. Die Bürger der Stadt standen an beiden Enden der engen Gasse und warteten gespannt ab, was sich wohl als Nächstes ereignen würde.
Irgendwie musste Tomli unter dem Mauerstück wegkommen, ehe es schließlich doch noch zu Boden ging. Leider hatte er keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen sollte. Meister Saradul hatte ihm nie eine entsprechende Formel beigebracht. In Ara-Duun kam es einerseits so gut wie nie zu Verschüttungen, und andererseits hatte Tomli bisher seine Kräfte noch viel zu schlecht kontrollieren können, um so etwas beispielsweise mit Felsbrocken in der Wüste zu üben.
»Tomli!«, rief Ambaros. »Setz das Mauerstück doch auf den Boden!«
Der Zwergenjunge entdeckte den Zentauren zwischen den Schaulustigen, von denen sich niemand auch nur einen Schritt näher wagte.
»Leichter gesagt als getan«, murmelte Tomli.
Abgelenkt durch Ambaros’ Ruf konzentrierte er sich einen Herzschlag lang nicht richtig. Das Mauerstück fiel etwa eine Zwergenlänge tiefer, bevor Tomli es mit knapper Not wieder auffangen konnte.
Er sank wie unter einem übergroßen Gewicht auf die Knie, die Hände immer noch emporgestreckt. Die Arme taten ihm inzwischen weh. Da er keinen Zauberstab hatte, musste alle Kraft von den Händen ausgehen. Natürlich ließ sich Magie durchaus auch ohne entsprechende Gesten ausüben, auch die Hände dienten letztlich nur als Hilfsmittel – aber darauf verzichten konnten wirklich nur die allererfahrensten Zauberer.
Wieder rutschte das Mauerstück tiefer. Tomli konnte die schwere Last geradezu körperlich spüren. Er würde sie nicht mehr lange halten können. Nichts wünschte er sich in diesem Augenblick sehnlicher, als dass Meister Saradul herbeieilen würde.
»Meister!« , sandte ihm der Zwergenjunge eine verzweifelte Gedankenbotschaft. »Meister!«
Aber damit tat er sich keinen Gefallen. Meister Saradul konnte unmöglich schnell genug am Ort des Geschehens sein, und so führte die Konzentration auf die Gedankenbotschaft lediglich dazu, dass das Mauerstück noch weiter herabsackte, so tief, dass ein erwachsener Mensch oder Elb nur die Arme hätte ausstrecken müssen, um es zu berühren.
Tomli versuchte noch einmal seine Kräfte zu sammeln und so zu bündeln, dass sich der bereits bedrohlich tief über ihm hängende Steinbrocken wieder hob. Er brauchte nur ein bisschen Aufschub, etwas Zeit, um wenigstens einen klaren Gedanken fassen zu können.
Aber sein Zauber misslang. Die Formel, die er murmelte, blieb ohne Wirkung. Stattdessen rutschte das Mauerstück noch weiter herab.
Im nächsten Augenblick erbebte erneut der Boden unter den tiefen Tönen, die die Leviathane erzeugten.
Tomli starrte auf das Mauerstück, an dessen Unterseite mittlerweile kleine Blitze zuckten – Anzeichen für die magischen Kräfte, die das schwere Bruchstück noch in der Luft hielten. Doch es senkte sich ganz langsam weiter. Tomli spürte den ungemeinen Druck.
Und dann sah er den Riss, der sich durch das Mauerstück zog. Es drohte zu zerbrechen. Wenn das geschah, war er verloren. Sich darauf zu konzentrieren, dass ein so großer Brocken nicht herabstürzte, war schon schwer genug. Bei zweien auch nur halb so großen war das schier unmöglich.
Die magischen Kräfte, mit denen Tomli das Mauerstück bisher in der Luft gehalten hatte, wirkten so stark darauf ein, dass es früher oder später
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