Zwergensturm
„Ja, so gut wie alle. Fünf, vielleicht zehn, aber nicht mehr konnten entkommen. Wir …“, er stockte, „ich ließ sie laufen.“ „Das war die richtige Entscheidung.“ „Ja, ich weiß“, antwortete er. „Was hätten wir davon gehabt, sie zurück in den sicheren Tod zu schicken? Wir hätten sie nicht beschützen können.“ Sein Blick war ebenfalls traurig. „Ich möchte Euch aber berichten, dass … wie soll ich es sagen …“ Er machte eine kurze Pause. „Die Arbeiter haben sich teilweise bewaffnet und Widerstand geleistet. Es gelang ihnen gar, einige der Orks zu töten.“ Maui staunte. „Ich hielt die Angehörigen der besetzten Völker immer für so etwas wie Opferlämmer. Die haben gekämpft? Woher können die das überhaupt?“ „Nicht koordiniert, nein, und nicht sonderlich effizient. Aber in ihrer Verzweiflung haben sie sich nicht einfach ihrem Untergang hingegeben. Es scheint noch ein kleines Feuer in ihnen zu brennen. Ein sehr kleines.“ „Obwohl sie nichts zu verlieren hatten.“ „Nein“, antwortete Lok’thodar. „Nur ihr Leben.“
Wenn es so w ar, wie es Lok’thodar beschrieben hatte, dann … Maui kam ein Gedanke. Aber er war so abwegig, dass sie ihn fortwischte.
Es klopfte erneut, und sie hatte sich nun den Künsten und den Finanzen zu widmen.
Straße südlich von Pruda
Gut gelaunt ritten sie nun bereits seit einer Stunde. Keiner von ihnen hatte je die Welt außerhalb der Stadtmauern gesehen. Die Eindrücke überwältigten sie.
Die Straße verlief im Wesentlichen schnurstracks geradeaus über eine hügelige Wiesenlandschaft, die hin und wieder von kleinen Wäldern durchzogen wurde. Insekten schwirrten fröhlich um ihre Köpfe herum , und Tinchena machte sich darüber lustig, dass ein paar Fliegen offensichtlich vorhatten, ihr Nest in Haggys Bart zu bauen.
Zahrin hatte anfangs ihren Kolben noch bei sich unter dem Arm getragen. Es schien, als wolle sie ihn gar nicht mehr hergeben. Da er aber zu schwer wurde und zu unhandlich war, hatte sie ihn inzwischen auch am Pony befestigt, so wie ihre anderen Sachen.
Die Sonne stand hoch oben am Himmel und spendete wohlige Temperaturen. „Herrlich“, ließ Haggy verlauten. „Diese frische Luft, die Klänge der Natur … Hört mal, wie viele verschiedene Vogelgesänge es hier gibt!“ Auch Otto sog immer wieder die Landluft in sich hinein. „Hast recht, ganz was anderes als in der Stadt. Und diese Weite, meine Güte. Man kann von einer Hügelkette bis zur anderen blicken!“
Ihnen v oraus näherte sich wieder ein kleines, offenes Wäldchen. Die Straße führte mitten hindurch. Die Bäume standen weit auseinander und nicht zu dicht an der Straße, die erst nach einer weiteren Hügelkette aus dem Blickfeld verschwand. Scherzend kamen sie dem Wäldchen näher, als sie eine dunkel gekleidete Gestalt rechts der Straße wahrnahmen. Tinchena hatte sie zuerst bemerkt und machte die anderen auf sie aufmerksam. Sie dachten sich nichts weiter und setzten den Weg fort. Die Gestalt betrachtete auch die Gruppe nicht, sondern schnitzte etwas mit einem scharfen Messer in einen armdicken Zweig.
Trotzdem erlosch das Gespräch, während alle die Gestalt begutachteten. Haggy fand, dass die Person, ein Mensch, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, recht ungepflegt aussah. Die Haare klebten am Kopf, das Gesicht war voller Schmutz. Die Kleidung hatte auch schon bessere Tage gesehen, und ihre dunkle Farbe gab der Gestalt etwas Unheimliches. Haggy schauderte es.
Sie waren nur noch wenige Schritte von der Gestalt entfernt, als sie den Kopf hob und die Gruppe angrinste. Haggy sah, dass der Person ein Schneidezahn fehlte.
Rechts und links der Straße begann es zu rascheln, und drei weitere, ähnlich dunkle Gestalten kamen hervor.
Der erste, den sie gesehen hatten, sprach sie an: „Wen haben wir denn da? Mal sehen, vier Reisende auf Ponys, alle gut bestückt mit Materialien. Wenn das nicht interessant ist!“ Einer der anderen ergänzte: „So eine Gruppe reist nur mit Erlaubnis der Dunkelelfen. Da habt ihr doch sicherlich etwas Schönes dabei, das ihr in deren Auftrag transportiert, nicht wahr?“
Haggy und seine Freunde hatten die Ponys angehalten. Sie sahen sich ratlos an.
Die erste Gestalt fuhr fort: „Seht her, in diesem elendigen Besetzten Land gibt es viele, denen es schlechter geht als euch, die für die Dunkelelfen arbeiten und deshalb … privilegiert sind.“ „Privilegiert?“ Tinchena runzelte die Stirn. „Wir? Quatsch, wir sind nur Reisende,
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