Zwergensturm
besser“, dachte er sich. „Ein Kopfschuss sorgt für ein schnelles Ende.“ Er atmete einmal tief durch, beim zweiten Ausatmen hielt er inne, zielte und drückte langsam den Abzug durch. Er zielte genau zwischen die Augen des Tieres. Er erspürte den Druckpunkt der Waffe und verstärkte den Druck auf den Abzug. Im Geiste hörte er schon den Schuss und sah, wie das Tier zusammenbrach. Doch wieder war es so, als würde es ihm direkt in die Augen blicken. Haggy hielt dem Blick stand. Lächelte das Tier wirklich? Konnte ein Schwein überhaupt lächeln? Sein rechter Zeigefinger gab nach, er löste den Druck auf den Abzug. Er senkte die Waffe ab , und es war ihm, als würden sie sich nun in die Augen schauen. Haggy lächelte zurück, stand auf, drehte sich um und ging. Zurück, ihrem Sammelpunkt entgegen. Den Freunden würde er erzählen, dass er nichts Essbares gefunden hätte. Er war sich nicht ganz sicher, ob das überhaupt gelogen wäre. Jedenfalls würde er nichts erschießen, dass ihn anlächelte.
Auf dem Rückweg machte er sich wenig Mühe, Geräusche zu vermeiden , und so hörten ihn die Freunde, die auch aus ihren Wäldern zurückkamen. Keiner der anderen sah glücklich aus. Haggy jedoch fühlte sich prima und musste mühsam den Eindruck vermeiden, dass er tatsächlich glücklich darüber war, nichts Schießbares gefunden zu haben. Die anderen würden es nicht verstehen.
So kamen sie wieder zusammen. „Nichts“, berichteten Zahrin und Otto. „Auch nichts, nicht mal Pilze“, ergänzte Tinchena. Haggy wollte gerade vorschlagen, in diesem Falle in der Hoffnung weiterzureiten, doch noch auf ein Gasthaus zu stoßen, als er plötzlich wieder das Grunzen hörte. Erschrocken drehte er sich um. Das Schwein war ihm gefolgt! Seine Silhouette war nun vor dem Wäldchen deutlich sichtbar. Tinchena reagierte als Erste: „Da, seht, dort! Juchhu, endlich Essen!“ Auch Otto blickte gebannt zum Wäldchen. Ohne seinen Blick abzuwenden, stieß er Haggy in die Hüfte: „Da, schau, schieß, Junge, schieß! Mir dreht sich vor Hunger schon fast der Magen um!“
Zu Ottos Entsetzen schoss Haggy nicht. Es schaute gar so aus, als ob Haggy dem Essen … dem Schwein zulächeln würde. „Haggy?“, erkundigte er sich daher lautstark. Haggy sah Otto an: „Tut mir leid, Freunde. Ich habe auch Hunger, aber ich kann nicht. Nicht dieses Schwein.“ „Bist du verrückt geworden? So einen Brocken finden wir nicht wieder!“ „Nicht dieses Schwein!“, wiederholte Haggy langsam und entschlossen. Er steckte die Waffe wieder in den Sattel und ging los, dem Schwein entgegen. Verständnislos sah Otto Zahrin an, die ebenso mit den Schultern zuckte. Strammen Schrittes näherte Haggy sich dem Schwein, das ihn nun ebenfalls ansah. Mit den Vorderläufen kniete es nieder, gleichzeitig wedelte sein kurzes Schwänzlein aufgeregt. Haggy wusste nicht, warum, doch er hatte begonnen, dem Tier entgegenzulaufen. Und jetzt lief das Schwein auch, direkt auf Haggy zu! Otto erschrak: „Meine Güte, der Brocken wird ihn umrennen!“ „Keine Angst, so ein Schwein ist stabil“, grinste Zahrin. Wissbegierig sah Tinchena Zahrin an: „Meinst du, das Vieh ist für Haggy keine Gefahr?“ Zahrin grinste noch immer und winkte ab: „Der weiß schon, was er macht.“
Als nur noch sieben, acht Schritte sie trennten, sprang der Eber. Sie prallten zusammen und das Tier begrub Haggy unter sich. Augenblicklich begann es, Haggy das Gesicht abzuschlecken. Trotz des enormen Gewichtes – das Tier war länger als Haggy groß – musste Haggy derart lachen, dass ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Er war sich sicher, einen neuen Freund gefunden zu haben.
Tinchena und Zahrin lachten. Es sah zu putzig aus, wie der dicke Eber auf Haggy saß und ihm das Gesicht putzte. Otto schüttelte den Kopf, er fühlte sich um sein Abendessen betrogen.
Bald raffte Haggy sich auf, nahm das Tier noch einmal in den Arm und schien ihm irgendetwas zuzuflüstern. Dann kamen er und das Schwein zum Rest der Gruppe. „Was hast du dem Braten gesagt?“, erkundigte Otto sich. Stolz streckte Haggy seine Brust heraus und sagte: „Dass ich ihn Piggy nennen werde. Er ist einverstanden!“ „Ein Schwein ist einverstanden mit seinem neuen Namen, ich fasse es nicht!“ Haggy schämte sich nun nicht mehr und freute sich stattdessen, einen neuen Begleiter zu haben. Stier blickte ihn verwundert an.
„Da!“, rief Zahrin und deutete in die Richtung eines kleinen Hügels. Vor ihm waren deutlich zwei
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