Zwergensturm
unwohl fühlte. Das wunderte Zahrin. Dachte er, er wäre nicht in der Lage, Wild zu schießen? Sie wusste, dass seine Übungen Holzdosen zum Ziel gehabt hatten, aber sie war sich sicher, dass er auch ein bewegliches Ziel treffen würde. „Was ist denn? Ist mit dir alles in Ordnung? Schmerzt deine Schulter noch? Sollen wir lieber weitersuchen, bis wir einen Gasthof finden?“ „Nein, nein, schon in Ordnung“, wehrte er ab. „Wer weiß, wie weit es bis dahin ist.“
Haggy brachte sein Pony längsseits der Straße zum Stehen und stieg ab. Er atmete tief ein und aus und nahm die Kupferbüchse vom Sattel. Auch die anderen stellten ihre Ponys ab. Die untergehende Sonne warf ein rötliches Licht auf die Landschaft. Sanft wiegten sich die Grashalme auf den Hügeln rechts und links der Straße, der Wind wehte mild. Erst in einiger Entfernung taten sich Waldstücke auf, in denen Haggy am ehesten Tiere vermutete. „Wir teilen uns auf, schaut euch mal um. Seht insbesondere in den Waldstücken nach, ob ihr dort auf Wild trefft. Vielleicht laufen uns auf den Feldern auch ein paar Hasen über den Weg.“
Jeder entfernte sich zügig in eine andere Richtung, auch Haggy hatte sich einen kleinen Wald ausgesucht. Der war noch etwa Hundert Schritte entfernt, aber er bemühte sich schon jetzt, unnötige Geräusche zu vermeiden. Zügig schritt er durch das kniehohe Gras, mit seinem Blick abwechselnd die Felder und den Wald, dem er immer näher kam, absuchend. Er blickte sich noch einmal um und sah, dass seine Freunde es ihm nachtaten. „Nette Jagdgemeinschaft“, dachte er sich. Obwohl sein Vater als einer der berühmtesten Jäger Prudas galt, hatte er Haggy nie mit auf die Jagd genommen. Haggy war auch nicht so richtig wild darauf. Er aß zwar gerne, doch eigentlich bevorzugte er Brot und Gemüse. Er liebte gebratenes Gemüse. Das hatte er freilich seinem Vater nie erzählt – den Spott wollte er sich ersparen. Wie dem auch sei, seine Freunde erwarteten ein alsbaldiges Festmahl, und so würde er etwas besorgen. Hunger hatte er auch selber, der lange Ritt forderte seinen Tribut.
Als der Wald nur noch etwa vierzig Schritte entfernt war, legte Haggy sich auf die Lauer und lauschte in den Abend hinein. Das Gras roch frisch, und er hörte das Zirpen von ein paar Grillen. Irgendwo am Himmel kreischte ein Vogel. Ein Bussard flog still über das Wäldchen und hatte vermutlich die gleiche Intention wie Haggy.
Sonst hörte Haggy nichts. Er stand auf und ging weiter. Da! Ein Grunzen! Er war sich sicher, das Grunzen eines Schweins gehört zu haben. Freudig blickte er sich nach den anderen um, die waren aber alle im Gras und in den Waldstücken verschwunden. Also ging er weiter, noch leiser als zuvor. Er erreichte das Wäldchen und betrat es. Kaum hatte er die erste Baumreihe erreicht, trat er auf ein kleines Stöckchen, das laut krachend zerbarst. „Mist!“ , ärgerte er sich. Er schlich nun. Ein paar Zweige versperrten ihm den Weg. Vorsichtig schob er sie zur Seite. Er sah, dass sich nach ein paar weiteren Bäumen eine kleine Lichtung im Wald auftat. Die suchte er ab. Wieder hörte er das Grunzen! Freudig begann sein Magen zu knurren. Da! Hinten rechts auf der Lichtung stand ein einzelnes Schwein. Vorsichtig ging Haggy in Position. Das Tier war etwa vierzig Schritte entfernt und ahnte nichts vom nahenden Unheil. Im Gegenteil, es grunzte noch einmal und grub seine Schnauze tief in die Erde. Fröhlich quiekte es und schob die Erde nach vorne. Irgendetwas hatte es freigeschaufelt, vermutlich eine Trüffel. Der kurze Schwanz wedelte erregt. Das Schwein nahm die Trüffel in den Mund, warf sie hoch und fing sie wieder auf. Vergnügt quietschte es erneut und verschlang die Beute. Haggy musste grinsen. Was für ein geschicktes Tier!
Haggy legte die Büchse an und betrachtete das Schwein über Kimme und Korn. Ein Eber, etwa drei bis vier Jahre alt, schätzte er. Das Fleisch würde für Tage reichen. Das Tier schaute sich um, und einen Moment lang war es so, als würde es Haggy direkt anblicken. Haggy erschrak. Er setzte die Büchse ab. Hatte das Tier ihn gesehen? Im gleichen Moment ärgerte er sich, er hätte ja trotzdem schießen können.
Wieder legte er an. Das Schwein hatte erneut eine Trüffel – oder was auch immer es war – gefunden, wälzte sich auf den Rücken und verspeiste den „Fang“ laut schmatzend. Dann sprang es auf und hatte nun sein Angesicht Haggy zugewandt. Haggy hätte schwören können, dass das Tier grinste. „Umso
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