Zweyer, Jan - Rainer
schwört Stein und Bein, dass eine kleine Katzenfigur aus Glas im Wohnzimmerschrank stand.
Wir haben aber keine gefunden.«
»Na und? Vielleicht ist das Teil heruntergefallen.
Möglicherweise sogar beim Putzen?«
»Nein. Behauptet jedenfalls Hilde Ritter. Auf dem Splitter waren Blutspuren. Frische Blutspuren! Unsere Experten meinen, das Blut sei etwa zum Tatzeitpunkt an den Splitter gekommen.« Baumann blickte triumphierend zu Brischinsky.
Der kannte diesen Gesichtsausdruck. »Mach es nicht so spannend. Was ist mit dem Blut?«
»Stammt eindeutig nicht von den Toten. Blutgruppe A Rhesusfaktor positiv. Die ganze Familie hat aber A negativ.
Auch Frau Ritter. Das Ergebnis der Genanalyse steht noch aus.
Kommt morgen, haben die Mediziner gesagt. Interessant ist auch, dass sich in der ganzen Wohnung und auch in den Mülltonnen des Hauses nicht ein Glasstück findet, von dem der Splitter stammen könnte. Außerdem fehlt ein Stück Zeitung.
Genau genommen der Mantel der WAZ vom Tattag. Keine Spur davon. Nicht in der Wohnung, nicht in den Tonnen. Der Rest der Zeitung liegt auf dem Fernsehgerät.«
»Vielleicht schon in der Altpapiersammlung?«, vermutete der Hauptkommissar.
»Nein. Die Zeitungen der Vortage wurden in einer Kiste neben dem Küchenschrank säuberlich gesammelt. Es fehlen nur diese zwei Seiten.«
Brischinsky dachte nach. »Das heißt dann doch wohl«, sagte er bedächtig, »dass kurz vor, während oder nach der Tat jemand in der Wohnung war und uns einen Glassplitter mit seinem Blut hinterlassen hat. Wie verletzt man sich an einem Glassplitter?« Er gab sich selbst die Antwort: »Es fällt etwas herunter, man hebt es auf und schon ist es passiert. Man möchte das Malheur beheben, greift zur Zeitung und legt die Scherben darauf. Und dann… ja, dann wirft man sie üblicherweise in den Mülleimer. In der ganzen Wohnung und auch in den Mülltonnen keine Spur vom Glas oder der Zeitung, sagst du?«
Baumann nickte.
»Dann hat also dieser Jemand die Splitter vermutlich mitgenommen. Warum, frage ich mich, macht man das?«
»Weil man nicht möchte, dass die Splitter mit dem Blut gefunden werden«, konstatierte Heiner Baumann.
»Genau. Und wer, frage ich dich, hat ein Interesse daran?«
Brischinsky schnitt Baumann mit einer Handbewegung das Wort ab. »Zu viele Zufälle: Ein bekennender Linkshänder, der sich mit rechts erschießt. Fehlende Blutspritzer auf der Schusshand des Toten. Und ein blutverschmutzter Glassplitter, der nicht da sein sollte. Ich bin sicher: Störmers wurden tatsächlich ermordet. Fragt sich nur, von wem.«
»Und warum«, ergänzte Baumann.
»Und warum, natürlich. Nenn mir das Motiv und es erleichtert die Fahndung nach dem Täter ungemein. Weiter: Der Täter hatte entweder einen Schlüssel oder die Störmers haben ihm die Tür geöffnet. Wieso?«
Baumann antwortete nicht.
»Übrigens: Hast du das Fax an die Stuttgarter Kollegen geschickt?«
»Klar. Die Familienangehörigen haben schon angerufen.
Scheißgespräch.«
»Kann ich mir denken.«
»Sie treffen morgen hier ein und melden sich dann bei uns.«
»Heiner, wir sollten uns im Kontakt mit der Presse auf das absolut Notwendige beschränken. Drei Tote gefunden, deutet alles auf eine Familientragödie hin, wir haben die Ermittlungen aufgenommen… et cetera. Keine Spekulationen. Haben wir uns verstanden?«
Baumann nickte.
»Gut. Was war mit dem Einwohnermeldeamt?«
»Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber Peter Störmer hat kurz nach dem Krieg seinen Namen geändert. Er ist Flüchtling, kommt aus der damaligen Sowjetunion. Sein Geburtsname lautet Rastevkow. Pjotr Rastevkow.«
31
Rainer Esch legte die neue Stones-CD No Security in den Player und gab Vollgas, als er den dreispurig ausgebauten Abschnitt der A 2 hinter Beckum erreichte. Die Scheibe, der Livemitschnitt der Bridges-to-Babylon- Tour 1998, war für Rainers Geschmack etwas zu glatt, etwas zu professionell, mit etwas zu viel Routine runtergespielt. Auch die unsterblichen Stones schienen in die Jahre zu kommen. Trotzdem, es war eine Stones-CD. Das war für Esch gleichbedeutend mit einem Gütesiegel. Böse Zungen in seinem Freundeskreis behaupteten, er würde sich auch Alpenhörner und Kuhglocken mit Begeisterung reinziehen, wenn auf der Plattenhülle Rolling Stones stehen würde. Rainer hielt das für etwas übertrieben.
Er drehte den Lautstärkeregler hoch. Das Heulen der Gitarren und Charly Watts trockene Drums bei Gimme Shelter übertönte spielend das
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