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Zweyer, Jan - Rainer

Zweyer, Jan - Rainer

Titel: Zweyer, Jan - Rainer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Geheimnis
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auf die Suche nach neuem Suchtgift zu begeben.
     
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    Glücklicherweise hatte der ehemalige Fotograf der WAZ seine Heimatstadt Castrop-Rauxel nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben nicht verlassen. Da sich Walter Terboven mit seinen damaligen 65 Jahren noch zu jung für das Rentnerdasein gefühlt hatte, machte er bis heute noch das, was er am besten konnte: Fotos. Ereignisse von überregionaler Bedeutung, für die sich Agenturen interessierten, waren in Castrop leider eher selten, eigentlich noch nie vorgekommen.
    Daher fotografierte Walter Terboven nach wie vor Einweihungen öffentlicher Gebäude und Verkehrsunfälle und verkaufte das eine oder andere Bild an seinen früheren Arbeitgeber. Terboven wurde allerdings den Verdacht nicht ganz los, dass der Leiter der Lokalredaktion ihm seine Produkte mehr aus alter Verbundenheit denn aus Überzeugung abkaufte. Vereinzelt gab auch ein Privatkunde den Auftrag, eine Familienfeier möglichst professionell abzulichten.
    Jedenfalls stand er aus diesen Gründen immer noch mit Namen und Berufsbezeichnung im Telefonbuch: Walter Terboven, Fotograf.
    Es war dieser Eintrag, der es Rainer Esch ermöglichte, am Montagnachmittag direkt nach einem Gerichtstermin auf den Klingelknopf zu drücken, neben dem der Name des Fotografen stand.
    Der 74-Jährige, der öffnete, trug eine verbeulte dunkelblaue Stoffhose, die mit breiten Hosenträgern daran gehindert wurde, in Richtung Kniekehlen zu rutschen. Das rot-schwarz karierte, grobe Baumwollhemd mit aufgekrempelten Ärmeln hätte gut in einen kanadischen Wald gepasst. Die Füße Terbovens steckten in Filzlatschen, die mindestens zwei Nummern zu groß waren. Dem Rentner klebte eine Zigarette im Mundwinkel, deren Qualm langsam an seinen Augen vorbeizog, was Terboven aber nicht zu stören schien.
    »Sie sind also Esch«, stellte Walter Terboven nach ihrer Begrüßung fest. Dabei musterte er den Anwalt sorgfältig. »Ich bin nicht ganz schlau geworden aus dem, was Sie mir am Telefon erzählt haben. Sie haben ein altes Bild von mir gefunden und wollen jetzt, dass ich Ihnen sage, was auf dem Foto drauf ist?« Terboven sog den Rauch seiner Zigarette tief ein.
    Rainer steckte sich auch eine an. »Nicht ganz. Ich habe ein Bild von Ihnen aus den 50er-Jahren.« Er reichte dem Journalisten das Foto. »Ich möchte wissen, wer die Männer darauf sind.«
    »Warum?« Terboven warf einen flüchtigen Blick auf das Bild, legte es auf den Tisch und sah seinen Besucher mit gespannter Aufmerksamkeit an.
    Diese Frage hatte der Anwalt erwartet. Er hoffte, dass seine Legende des eifrigen Studenten der Geschichtswissenschaft auch bei Terboven Bestand hatte.
    »Geschichtsstudent, aha.« Terboven griff erneut zu dem Foto.
    »Lernt man da heute, dass man das, was einen interessiert, einfach aus den Quellen herausreißen darf? Wo haben Sie den Zeitungsausschnitt her? Aus dem Archiv meines früheren Brötchengebers?«
    Esch verspürte ein schlechtes Gewissen. »Nee, Stadtarchiv.
    Da war kein Kopierer in der Nähe«, setzte er hastig hinzu.
    »Kein Grund, gesammelte Zeitungen zu zerfleddern.«
    Terboven schüttelte den Kopf. »Wenn Sie mir versprechen, den Ausschnitt mit Tesafilm wieder in die Zeitung einzukleben, sehe ich in meinen Unterlagen nach, ob ich die Namen für Sie finden kann.«
     
    Rainer nickte eilig mit dem Kopf.
    »Gut. Kommen Sie.« Terboven stand auf. »Wann war das genau?«
    »Das Bild war in der Ausgabe vom 5. September 1951.«
    Der Fotograf betrat sein Arbeitszimmer. Rainer hielt unwillkürlich den Atem an. So etwas hatte er noch nie gesehen: Raumhohe Regale bedeckten jeden freien Quadratzentimeter Wandfläche. In den Regalen standen Hunderte von Aktenordnern, jeder trug eine Monats-und Jahresangabe auf dem Rücken. Unzählige, etwa 50 Zentimeter lange Karteikästen aus Holz waren ebenfalls mit Jahreszahlen beschriftet. Auf einem großen Schreibtisch in der Mitte des Raumes stapelten sich unterschiedlich große Fotografien in Schwarzweiß und in Farbe.
    »In den Ordnern lagern meine Negative, in den Karteikästen die Informationen zu meinen Bildern. Sehen Sie.« Terboven griff zu einem Kasten mit der Aufschrift 1951 und öffnete ihn.
    Darin fanden sich Unterteilungsreiter für jeden Monat des betreffenden Jahres und dazwischen eng beschriebene Karteikarten. »September. Und der fünfte. Hier haben wir es.«
    Terboven fischte eine Karte heraus. »Jetzt vergleichen wir das Negativ mit dem Zeitungsausschnitt… Das Bild ist zwei Tage vor

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