Zweyer, Jan - Rainer
auf«, rief er Buhlen zu, griff nach seinem Mantel und beeilte sich, dem Juister Beamten zu folgen. Der hatte zwanzig Meter Vorsprung und bog schon um die nächste Straßenecke. Müller spurtete los. Nach etwa dreihundert Metern konnte er nicht mehr. Seine Lunge schien zu zerspringen und er spürte seinen Herzschlag bis zum Hals.
Schnaufend blieb er stehen. Altehuus dagegen lief mit regelmäßigen, raumgreifenden Schritten weiter.
»Warten Sie nicht auf mich«, krächzte Müller ihm nach. »Ich brauche nur einen Moment…« Altehuus war zwar gut zwanzig Jahre älter und ebenso viele Kilo schwerer als er, ihm schien aber dieser Lauf nichts auszumachen. »Muss an der Seeluft liegen«, keuchte Müller, atmete mehrmals tief durch und verfiel wieder in einen leichten Trab.
Zehn Minuten später hatte auch der Kommissar die Strandpromenade erreicht. Rainer Esch stand neben POM
Altehuus, der ihn stützte.
Müller sah mitleidig in Rainers ramponiertes Gesicht. Dessen Lippe war an einer Stelle aufgeplatzt. Das rechte Augenlid war geschwollen, ein Veilchen schien hier seinen Anfang zu nehmen. Der Anwalt hielt sich den Knöchel einer Hand. Der linke Daumen war seltsam abgespreizt. »Sieht ja übel aus.«
Ungehalten antwortete der Anwalt: »Stimmt. Wir wurden überfallen. Und ich zusammengeschlagen. Aber ich habe mich gewehrt. Einer von denen dürfte ein ziemlich zermatschtes Nasenbein haben. Allerdings«, Rainer sah schmerzverzerrt auf seinen Daumen, »ist mir auch etwas kaputtgegangen. Mist.«
Altehuus schaltete sich ein. »Drei Männer haben sich mit ihm geprügelt, einer stand Schmiere. Als der mich sah, hat er seine Kumpanen gewarnt und sie haben Fersengeld gegeben.«
»Haben Sie einen der Täter erkannt?«, fragte Müller den Anwalt.
»Nee. Die hatten sich Skimützen über das Gesicht gezogen.«
Rainer ließ seinen Arm los und kramte mit der rechten Hand in der Jackentasche nach seinen Zigaretten. Er wollte mit der linken auf die Packung klopfen, verzog nach dem ersten Versuch jedoch schmerzhaft das Gesicht. »Verdammt. Würden Sie bitte…« Er reichte Müller die Schachtel, der für ihn eine Zigarette herausholte und ihm Feuer gab. »Danke.« Rainer inhalierte tief. »Ich Idiot bin selbst schuld. Anfangs waren die Kerle ja noch halbwegs friedlich. Sie haben mich bedroht, aber nicht geschlagen. Ich solle machen, dass ich nach Deutschland zurückkäme, und die Finger von den Grundstückskäufen lassen, haben sie gefordert. Sonst…«
»Nach Deutschland zurück?«, wunderte sich der Kommissar.
»Was soll das denn?«
»Juister nennen das Festland manchmal so«, erklärte Altehuus. »Die Täter stammen bestimmt von der Insel.«
»Eigenartige Gebräuche. Was haben sie Ihnen angedroht?«
»Sie meinten, es würde meiner Freundin nicht gut bekommen, wenn ich bliebe. Da bin ich durchgedreht und habe den, der mir am nächsten stand, ins Gesicht geschlagen. Dabei ist wohl der Daumen in Mitleidenschaft gezogen worden. Na ja, und dann hat sich der Kerl gewehrt. Hätte ich auch gemacht. Aber das auch noch die anderen zwei… Gegen drei hatte ich keine Chance.«
»Wir bringen Sie zum Arzt«, bestimmte Müller. »Und dann nehmen wir die Anzeige auf.«
»Ich will gar keine Anzeige erstatten«, widersprach Rainer.
»Aber Sie wurden überfallen!«
»Ach was. Die wollten mir nur Angst einjagen. Wenn ich nicht um mich geschlagen hätte, wäre nichts passiert.«
»Es handelt sich um ein Offizialdelikt. Das muss ich Ihnen doch nicht erklären, oder?«
»Das müssen Sie nicht. Aber wenn die Staatsanwaltschaft wirklich bei jedem solcher Bagatelldelikte Anzeige erstatten würde, müssten die Steuern noch weiter erhöht werden, damit die erforderlichen Richter bezahlt werden könnten.«
Müller musste grinsen. »Wie Sie meinen. Aber auf dem Arztbesuch bestehe ich.«
Rainer hob die Schultern.
Altehuus erkundigte sich besorgt: »Können Sie laufen?«
»Was denken Sie denn?«
Der Polizeiobermeister legte seinen Arm auf Rainers Schultern. »Na, dann kommen Sie mal.« Und leise setzte er hinzu: »Das war nett von Ihnen, auf die Anzeige zu verzichten.«
Rainer schrie vor Schmerzen auf, als der Arzt das herausgesprungene Daumengelenk mit einem kurzen Ruck wieder in die richtige Position brachte.
»Hätten Sie mir nicht vorher eine Spritze geben können?«, stöhnte er, als der Doktor die Hand bandagierte.
»Wegen einer solchen Kleinigkeit?«, wunderte sich der Mediziner und träufelte mit einem Tupfer Jod auf Eschs
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