Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
einem Kondolenzbesuch ein Kranz eher unpassend sei, und empfahl ihm einen schlichten Strauß Herbstblumen und eine Beileidskarte, die Cengiz noch im Laden unterschrieb.
Auf dem Weg zu seiner Wohnung überlegte er erneut, ob er Stefanie Westhoff nicht doch lediglich anrufen und den Blumenstrauß seiner Vermieterin schenken sollte, verwarf den Gedanken aber schnell wieder und beschloß, sich umzuziehen und ohne Vorankündigung sofort nach Hochlarmark zu fahren.
Vor dem Haus in der Westfalenstraße, in dem, wie er annahm, die Schwester seines toten Ausbilders wohnte, bekam er leicht weiche Knie. Die Haustür stand offen, und er trat ein.
Vor der Wohnungstür mit der Aufschrift Stefanie Westhoff holte er tief Luft und schellte.
Einen Moment später hörte er Schritte, und eine junge Frau erschien an der Tür, sah ihn und seine Blumen fragend an und sagte: »Ja, bitte?«
Cengiz hielt den Blumenstrauß wie ein Schutzschild vor seinen Körper und stammelte: »Entschuldigen Sie, sind Sie Frau Westhoff? Ich meine… haben Sie… ist Ihr Bruder… ich heiße Kaya, also ich will… Scheiße.«
Das war ziemlich daneben gegangen. Also noch mal. Er atmete durch und rasselte los. »Frau Westhoff, wenn Ihr Bruder kürzlich verstorben ist, möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.« Jetzt war es raus. Nun noch die Blumen loswerden, und dann nichts wie weg.
Trotz des traurigen Anlasses mußte Stefanie fast lachen, als der großgewachsene, schlanke junge Türke vor ihr stand, vor lauter Verlegenheit und Unsicherheit von einem Fuß auf den anderen wippte und ihr den Blumenstrauß fast ins Gesicht stieß. Er wirkte noch hilfloser, als sie sich fühlte.
»Danke, ja, mein Bruder ist gestorben. Kannten Sie ihn? Bitte kommen Sie doch rein.« Sie ließ Kaya eintreten. Im Wohnzimmer erhob sich ein junger Mann.
»Das ist Rainer Esch, mein Freund. Und das ist…«, sie wandte sich an Kaya, »… entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen nicht verstanden…«
»Cengiz Kaya.«
»Ein…«, sie zögerte, »… Freund von Klaus?«
»Freund ist eher übertrieben. Er war mein Ausbilder auf Friedrich Gustaf. Ich habe ihm viel zu verdanken.«
»Bitte setzen Sie sich. Möchten Sie etwas trinken? Ich hole nur schnell eine Vase für die Blumen. Rainer, würdest du…?«
»Logo.« Esch stand auf. »Mit oder ohne Alkohol?«
»Ohne. Ich muß noch fahren.«
»Mineralwasser, Apfelsaft oder Kaffee?«
»Mineralwasser, bitte.«
Esch folgte Stefanie in die Küche, und beide kamen kurz darauf zurück, Rainer mit der Blumenvase und seine Freundin mit einem Glas und einer Flasche Wasser. Sie schenkte Kaya ein, dessen trockener Mund nach Linderung lechzte.
»Danke.« Der Türke trank einen Schluck. Dann entstand jenes peinliche Schweigen, bei dem alle Anwesenden das Gefühl hatten, etwas sagen zu müssen, keinem aber auch nur das geringste, halbwegs Intelligente einfiel.
Stefanie Westhoff rettete die Situation. »Wie haben Sie auf Friedrich Gustaf – das liegt doch am Niederrhein, oder? – vom Tod meines Bruders erfahren? Das ist doch erst ein paar Tage her.«
»Ich habe heute morgen auf Eiserner Kanzler angefangen und mich nach Ihrem Bruder erkundigt. Herr Hülshaus hat mir gesagt, daß Klaus tot sei und wo ich Sie finden kann.
Eigentlich wollte ich nur anrufen. Es tut mir leid, daß ich hier so unangemeldet reingeplatzt bin.«
»Nein, nein, schon in Ordnung.« Stefanie wehrte ab. »Sagen Sie, wann haben Sie meinen Bruder das letzte Mal gesehen?«
»Oh, warten Sie. Das ist schon einige Zeit her. Er war vor zwei, drei Monaten in einem Seminar im Barbarahaus…«
Kaya registrierte ihren fragenden Blick. »Das ist ein Versammlungsgebäude in der Wohnheimanlage, in der ich wohnte. Dort haben wir uns getroffen und uns unterhalten.«
»Welchen Eindruck hatten Sie von ihm? Ich meine, ist er Ihnen irgendwie verändert vorgekommen?«
Jetzt war es an Kaya, fragend zu gucken.
»Ach so, das können Sie ja nicht wissen. Die Polizei meint, mein Bruder habe Selbstmord begangen. Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Rainer auch nicht.« Sie drehte ihren Kopf leicht in Eschs Richtung. Auch Kaya sah ihren Freund an, hatte aber nicht unbedingt den Eindruck, bedingungslose Zustimmung an seinem Gesichtsausdruck zu erkennen.
»Also mir erschien er völlig normal. Entschuldigung, ich meine, so wie immer.«
Esch schaltete sich ein. »Was erzählt man sich denn auf Eiserner Kanzler?«
»Eigentlich nichts. Zumindest«, schränkte Cengiz ein,
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