Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
er seinen elektronisch lesbaren Ausweis durch das Lesegerät, wartete auf das Piepsen, das anzeigte, daß seine Daten registriert waren, und ging dann hinter den anderen Bergleuten her eine Treppe hinunter zum Schacht.
Dort hatten sich auf drei Ebenen schon einige Dutzend Wartende eingefunden. Cengiz blickte sich suchend um und entdeckte seinen Reviersteiger in der Nähe.
»Auf.« Kaya begrüßte die Bergleute, die neben Karl Müller standen. Sie erwiderten seinen Gruß.
»Das ist der Kollege Cengiz Kaya. Er ist ab heute bei uns auf Schicht. Also, auf gute Zusammenarbeit. Einweisen werd ich dich inne Grube.«
Rumpelnd kam der Förderkorb nach Übertage. Der Anschläger öffnete das Sicherheitsgitter, und Kaya und seine neuen Arbeitskollegen betraten als erste den Korb. Sie gingen bis zur gegenüberliegenden Seite und stellten sich eng neben-und hintereinander. Zu ihnen gesellte sich noch etwa ein Dutzend Bergleute. Unmittelbar nach dem Schließen der Gitter kam das Signal zur Seilfahrt. Der Korb beschleunigte schnell, um dann mit hoher Geschwindigkeit in die Tiefe zu rasen.
Nach einigen Minuten hörten sie Maschinengeräusche, und die Seilfahrt verlangsamte sich, bis der Korb zum Stillstand kam.
Ein Teil der Bergleute stieg aus, und Kaya wollte ihnen folgen.
»Nicht so eilig, Kumpel«, sagte Karl Müller, »wir müssen noch etwas tiefer.«
Auf der sechsten Sohle in etwa 1.100 Meter Tiefe endete ihre Fahrt. Kaya sah sich um. Wie auf jedem anderen Bergwerk, fand er. Direkt bis zum Schacht verliefen Schienen, um die Kohlewagen nach Übertage zu fördern. Dieser unterirdische Bahnhof war etwa 20 Meter breit, rund 10 Meter hoch und etwa 400 Meter lang. Trotz guter Beleuchtung konnte Cengiz nur rund 150 Meter weit sehen, dahinter verschluckte ein schwarzes Loch alles Licht. Auf den Schienen standen zahlreiche Leere, wie die Bergleute die unbeladenen Kohlenwagen nannten. Auf anderen Wagen sah Kaya Holz, Stahlmatten und Kanister. Einige Meter weiter wartete ein Personenzug mit laufendem Akkumotor auf Passagiere.
»Komm, hier rein«, sagte Müller und drängte sich durch die enge Tür ins Innere des Wagens. Weitere Bergleute stiegen hinter ihnen ein. Die letzten Kumpel schlossen die Tür, und der Zug setzte sich in Bewegung. Er überfuhr holpernd einige Weichen und nahm dann eine Kurve. Während der Fahrt stellte Müller Kaya seine neuen Arbeitskollegen vor und erklärte ihm seine Aufgabe.
Für den jungen Türken war das nichts Neues. Er hatte auch auf seinem alten Pütt im Streb gearbeitet.
Nach fünfzehnminütigem Durchschütteln hatten sie ihr Ziel erreicht. Sie stiegen aus und durchquerten die erste von mehreren Wettertüren, durch deren Öffnen oder Schließen nach einem ausgefeilten Plan frische Luft bis an die entlegenste Stelle im Grubengebäude gelangen konnte.
Nachdem sie die letzte der Türen passiert hatten, kamen sie zu einer Strecke, die sie mit einem sehr warmen, nach Kohle und Öl riechenden Windstrom empfing. Durch die Strecke lief ein Förderband, über das Kohle abtransportiert wurde. Die Männer bewegten sich gegen den Wind und die Laufrichtung des Förderbandes. Es wurde wärmer und lauter. Nach weiteren 200 Meter Fußmarsch konnten sie sich nur noch schreiend verständigen. Es war heiß, stickig, und die Luft war gesättigt mit Kohlenstaub. Sie hatten Cengiz’ neuen Arbeitsplatz erreicht.
Der Reviersteiger der Nachtschicht begrüßte sie, erläuterte Müller, was während der Nacht vorgefallen war, und machte dann mit seinen Leuten Feierabend. Wie Müller es ihm gesagt hatte, kroch Kaya in den Streb zu der Schrämmwalze, mit der die Kohle aus dem Flöz geschnitten wurde, und machte sich daran, seine erste Schicht auf Eiserner Kanzler, Flöz Sonnenschein, Abbaurevier 32 zu verfahren.
Bei der Ausfahrt nachmittags sprach er Karl Müller an. »Sag mal, Karl, du kennst doch den Klaus Westhoff, der muß hier Fahrsteiger sein?«
»Klaus Westhoff?« Müller zögerte. Dann wandte er sich an einen Bergmann, der rechts von ihm auf dem Korb stand. »Hör mal, Paul, der Westhoff, ist der nicht letzte Woche plötzlich verstorben?«
»Glaub schon. Weiß aber nich genau.«
»Da hörst du’s, Cengiz. Ich meine, der is tot. Warum willst du das wissen?«
»Wieso tot? Hatte der einen Unfall?« Kaya war überrascht.
»Keine Ahnung. Hörst ja selber.«
»Weiß denn jemand genauer Bescheid?«
»Geh zur Werksleitung«, spottete ein Kumpel von weiter hinten. »Die sind wie die kommunistische Internationale
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