Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
von 1936. Die wissen nicht nur alles, sondern auch alles besser.«
Alle lachten.
»Nee, im Ernst. Wer kann mir denn da helfen? Der Westhoff war früher mein Ausbilder, ich möchte das schon genau wissen.«
»Ach so.« Müller dachte nach. »Frag ma den Hülshaus, der kennt den Westhoff ganz gut, glaub ich. Vielleicht kann der dir weiterhelfen.«
»Und wo find ich den?«
»Beeilst dich mit Duschen, und kommst dann in die Steigerstube. Vielleicht isser dann noch da. Ich zeig ihn dir.«
Hülshaus war nicht gerade begeistert, als Müller mit Kaya im Schlepptau zu seinem Schreibtisch kam und der Türke sein Anliegen vortrug.
»Mann, muß das jetzt sein? Ich muß hier noch die Gedinge ausrechnen. Müssen heute noch ins Lohnbüro. Was wollen Sie? Klaus Westhoff besuchen? Da hätten Sie eher kommen müssen. Der ist gestorben. Ende letzter Woche.«
»Wieso denn?« sagte Kaya und ärgerte sich im selben Moment über diese schwachsinnige Bemerkung.
Die passende Antwort kam wie erwartet: »Woher soll ich das denn wissen. Fragen Sie ihn doch selber, wenn Sie ihn sehen.«
»Ich meine doch nur, wie ist er…?«
»Selbstmord, sagt die Polizei. Hab ich jedenfalls gehört. Er soll sich umgebracht haben.«
Kaya war wie vor den Kopf gestoßen. »Und seine Familie?
Wie hat die das denn aufgenommen?«
»Hören Sie, bin ich eine Detektei? Wir waren Arbeitskollegen. Wenn Sie Genaueres wissen möchten, fragen Sie seine Schwester. Soweit ich weiß, ist sie seine einzige lebende Angehörige.«
»Wo finde ich die denn?«
»Sie heißt Stefanie Westhoff. Wohnt irgendwo in Hochlarmark. Und jetzt«, Hülshaus beugte sich demonstrativ über seine Gedingeabrechnung, »jetzt hab ich zu tun.«
16
Auf dem Weg nach Herne stoppte Cengiz Kaya an einer Telefonzelle, suchte im Telefonbuch den Namen Stefanie Westhoff, fand zwei Eintragungen und hielt unschlüssig den Hörer in der Hand.
Genervt durch das rhythmische Piepen knallte er das Gerät wieder auf die Gabel, notierte die Anschriften und ging zu seinem Wagen zurück. Dort schlug er im Recklinghäuser Stadtplan beide Straßennamen nach und stellte fest, daß nur eine davon in Hochlarmark lag. Anrufen oder vorbeifahren, das war die Frage.
Schließlich entschied er sich für einen persönlichen Kondolenzbesuch, was unmittelbar die Frage nach dem Wann und – viel gravierender – nach der korrekten Kleidung für einen solchen Einsatz aufwarf. Außer Jeans hatte sein Kleiderschrank nicht viel zu bieten, er besaß noch nicht einmal eine Krawatte, geschweige denn eine schwarze. Und mit seiner speckigen, über alles geliebten Lederjacke konnte er bei Stefanie Westhoff wohl auch nicht erscheinen.
Seufzend startete Cengiz den Motor und fuhr in die Herner Innenstadt, um sich in einem der Kaufhäuser angemessen auszustaffieren.
Der Abteilungsleiter des Herrenausstatters am Robert-Brauner-Platz offerierte ihm einen schwarzen Anzug, der nach Ansicht des Verkäufers wie für ihn gemacht war. Kaya war nach einem Blick in den Spiegel zunächst völlig seiner Meinung, die er dann nach einem Blick auf das Preisschild schnell änderte. Auf Cengiz’ Frage, ob es denn nicht auch etwas preiswerter ginge, schüttelte der Verkäufer nur indigniert den Kopf und meinte, er könne ja bis zum Schlußverkauf warten; ob allerdings der Verstorbene noch soviel Zeit hätte, sei doch wohl eher fraglich.
Kaya verließ ohne Gruß den Laden und versuchte sein Glück bei Karstadt. Schwarze Anzüge waren hier Mangelware, und so entschied er sich für ein schwarzes Sakko, das, wie er fand, ganz gut mit seinen schwarzen Jeans harmonierte. Das Teil hatte außerdem den Vorteil, daß er es auch bei anderen Gelegenheiten tragen konnte, so daß er eigentlich nur noch ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte benötigte.
Das Hemd bereitete ihm keine Schwierigkeiten, der Preis des Kulturstrickes dagegen schon. Cengiz gewann mehr und mehr den Eindruck, daß Sterben in der Bundesrepublik nicht nur für den unmittelbar Betroffenen ein mehr oder weniger unangenehmes Ereignis war, sondern auch dazu führte, daß sich die trauernden Hinterbliebenen auf Jahre hinaus verschulden mußten, um die Angelegenheit den Konventionen gemäß zu regeln. Und da der Türke eher nonkonformistisch eingestellt war, konnte er eigentlich auf eine schwarze Krawatte ganz verzichten, die er, wie er hoffte, ohnehin nur zu seiner eigenen Beerdigung benötigen würde.
Die nette Verkäuferin im Blumengeschäft erwiderte auf seine Frage, daß bei
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