Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
»nicht mir. Ich hab da ja auch erst eine Schicht verfahren. Hülshaus deutete an, daß sich Klaus umgebracht haben könnte. Wo er das herhat, weiß ich nicht.«
Erneut herrschte Schweigen. Diesmal kapitulierte Kaya als erster. »So, ich glaube, ich sollte jetzt lieber gehen. Ich habe Sie lange genug gestört.« Er erhob sich.
»Warten Sie noch einen Moment. Sie wohnen noch da am Barbarahaus?« fragte Stefanie.
»Sie meinen im Wohnheim? Nein, ich hatte das Glück, Samstag eine Wohnung in Herne zu finden.«
»Kann ich Sie da telefonisch erreichen? Wissen Sie, vielleicht hören Sie ja etwas auf dem Pütt. Vielleicht hat Klaus ja dort mit jemandem gesprochen. Wenn sich Klaus wirklich umgebracht hat, muß ich einfach wissen, warum. Ich werde auch noch Herrn Hülshaus anrufen, aber wenn Sie…«
»Selbstverständlich. Wenn ich was höre, rufe ich Sie an. Ich hab noch kein Telefon, das werde ich in den nächsten Tagen erst anmelden. Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, gerne. Ich kenne ja hier noch keinen, hab also nach der Schicht viel Zeit.«
»Vielen Dank.« Stefanie lächelte Cengiz an. »Und vielen Dank für Ihren Besuch und die Blumen.«
»Tschüs.« Rainer Esch hob die Hand.
»Auf Wiedersehen.« Cengiz nickte Esch zu und ergriff die Hand von Stefanie. Sie war weich und warm. Und das wurde ihm auch.
17
Mittwoch morgen um sieben riß Rainer das Klingeln des Telefons aus dem Schlaf. Vor sich hin fluchend schlurfte er in den Flur, nur um festzustellen, daß sein Funktelefon nicht da lag, wo es liegen sollte. Dem penetranten Klingeln nach zu urteilen, mußte sich das Teil irgendwo in der Küche befinden.
Er entdeckte es unter dem leeren Pizzakarton, in dem ihm gestern abend die Quattro Stagioni geliefert worden war.
»Esch«, brummte er.
»Morgen. Hab ich dich geweckt?«
»Stefanie, weißt du, wie spät es ist? Ist ja mitten in der Nacht«, maulte er.
»Es ist sieben. Schwing dich aus dem Bett, ich bin in zwanzig Minuten bei dir. Ich brauche deine moralische Unterstützung.«
»Wofür, um alles in der Welt, brauchst du moralische Unterstützung am frühen Morgen?«
»Um mit den Polizisten zu reden. Der Kripomann hat gestern abend angerufen. Ich soll heute morgen ins Präsidium kommen. Ich wollte dir das schon gestern erzählen, aber du warst ja mal wieder nicht zu erreichen, ich hab’s bis zehn versucht. Mußt du denn eigentlich jede freie Minute in Kneipen rumhängen?«
»Langsam.« Er dehnte das A überlang. »Ich war den ganzen Abend zu Hause. Hab mir den Tatort mit Schimanski angeguckt. Aber der Scheißakku von dem Funkdings war leer, hab ich erst später gemerkt, als ich Michael anrufen wollte.«
Esch war stinkig. Daß man mit Bullen am besten gar nicht und wenn doch, dann nur unter Zeugen reden sollte, leuchtete ihm unmittelbar ein. Daß solche Gespräche aber zu nachtschlafender Zeit stattfinden mußten, überhaupt nicht.
»Geht’s nicht heute nachmittag? Ich bin…«
»Nein, geht es nicht«, unterbrach ihn Stefanie. »Ich gehe im Gegensatz zu dir einer geregelten Beschäftigung nach, was dir vielleicht nicht entgangen sein dürfte. Ich konnte mir nur heute morgen freinehmen. Also, bis gleich.« Sie legte auf.
Esch schlich ins Badezimmer. Er wußte, wann er verloren hatte.
Kurz nach acht saßen sie Hauptkommissar Brischinsky und seinem Mitarbeiter Baumann gegenüber.
»Das ist mein Freund Rainer Esch«, stellte Stefanie Westhoff ihren Begleiter vor. »Ich möchte, daß er bei unserem Gespräch dabei ist.«
»Nichts dagegen«, antwortete Brischinsky. »Also, Frau Westhoff«, er blätterte in einem Aktenordner, »ich habe hier das Ergebnis der Obduktion. Nach unseren Ermittlungen hat Ihr Bruder Selbstmord begangen. Wir haben an der Leiche und in seinem Wagen keine Anzeichen für Fremdverschulden feststellen können. Wir gehen davon aus, daß er eine Überdosis Schlafmittel in Verbindung mit Alkohol zu sich genommen und sich zusätzlich noch mit den Abgasen seines Wagens vergiftet hat. Schon die Dosis des Medikaments war tödlich. Wenn Sie weitere Einzelheiten wissen wollen…?«
»Nein, nein«, wehrte Stefanie ab.
»Gut. Einen Abschiedsbrief haben wir allerdings nicht gefunden. Auch nicht in seiner Wohnung. Den Schlüssel brauchen wir nicht mehr. Vielen Dank, daß Sie uns den überlassen haben.« Er gab ihr den Schlüsselbund. »Die Leiche Ihres Bruders wurde von der Staatsanwaltschaft freigegeben.«
Der jungen Frau flossen Tränen über das Gesicht.
Der Hauptkommissar
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