Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
räusperte sich. »Entschuldigen Sie bitte, aber das mußte sein.«
Sie nickte stumm.
»Sie können also jetzt ein Beerdigungsunternehmen beauftragen.« Brischinsky schob eine Zellophantüte über den Tisch. »Hier sind die persönlichen Dinge, die wir bei Ihrem Bruder gefunden haben. Sein Autoschlüssel, etwas Kleingeld –
nichts Besonderes. Der Personalausweis lag in seiner Wohnung, wir haben ihn mitgenommen. Tja, Frau Westhoff, das wär’s. Leider. Noch mal mein herzliches Beileid.« Er stand auf und reichte ihr die Hand.
»Sind Sie sich ganz sicher? Hat sich Klaus wirklich selbst umgebracht? Ich glaub’s nicht, glaub’s einfach nicht.«
»Es gibt keine andere Erklärung, Frau Westhoff.«
Rainer Esch und Stefanie Westhoff verließen schweigend das Polizeipräsidium. Vor dem Gebäude ergriff sie seine Hand.
Mit dem linken Handrücken wischte sie ihre Tränen fort.
»Komm, jetzt noch zum Bestattungsunternehmen.«
»Bist du dir sicher, daß du dir das jetzt auch noch zumuten willst?«
»Ganz sicher.«
Kurz nach zehn waren sie wieder in seiner Wohnung, tranken Kaffee und besprachen die notwendigen Vorbereitungen für die Beerdigung. Plötzlich wechselte Stefanie das Thema.
»Rainer«, sagte sie, »ich muß in die Wohnung von Klaus. So bald wie möglich. Irgendein Anhaltspunkt muß da sein. Ich muß wissen, warum er sich umgebracht hat. Verstehst du, ich muß es einfach wissen.«
»Schon klar, logo. Und wann?«
»Heute abend. Treffen wir uns um acht vor seinem Haus?«
»Gut.«
Sie küßte ihn zum Abschied. »Bis nachher.«
»Bis dann.«
Nachdem Stefanie seine Wohnung verlassen hatte, schob Rainer die neue Rolling Stones CD Stripped in den Player der Hi-Fi-Anlage und stellte den Lautsprecher gerade so laut, daß sein Nachbar keinen Grund hatte, schon wieder die Polizei zu verständigen. Von Bullen hatte er für heute genug. Wie immer, wenn er die Scheibe in der Hand hielt, bedauerte er, keinen Computer zu besitzen und die auf der CD enthaltene Videosequenz abspielen zu können. Allerdings – selbst wenn so ein Gerät zu seinem Haushalt gehören würde, müßte er erst mal lernen, wie man es bedient. Und Rainer hatte schon Schwierigkeiten, seinen Videorecorder fehlerfrei zu programmieren. Seufzend drückte er die Vorwahltaste, dann die Repeattaste des CD-Players, und nach einem leisen Summen hörte er die verhaltenen Gitarrenklänge von ›Love in vain‹.
Er sah auf die Uhr, und nach kurzem Zögern begab er sich in die Küche, um sich einen Espresso aufzubrühen und einen Veterano einzuschenken. Kaffeetasse und Brandyglas in einer Hand balancierend, rückte er seinen Lieblingssessel in die optimale Hörposition zwischen die Lautsprecherboxen und dachte nach.
Er war sich vollkommen darüber im klaren, daß Klaus Westhoffs Tod seiner Schwester einen schweren Schlag versetzt hatte. Rainer konnte auch gut verstehen, daß Stefanie den Grund des Selbstmordes ihres Bruders herausfinden wollte. Eschs Verhältnis zur Staatsmacht und zur Polizei war trotz seines Jurastudiums nicht das beste, im Gegenteil. Er zweifelte aber nicht im geringsten an der Kompetenz der Kripo, Morde von Selbstmorden zu unterscheiden. Und bezüglich Klaus’ Tod war er völlig einer Meinung mit den Polizisten, im Gegensatz zu Stefanie. Sie schien der fixen Idee aufzusitzen, ihr Bruder sei umgebracht worden, zumindest erweckte sie den Eindruck, zu glauben, hinter dem Tod von Klaus stecke mehr, als die Polizei ihr sagen wollte.
Andererseits waren die Umstände des Selbstmordes in der Tat mehr als rätselhaft, Rainer selbst hatte sich – vage zwar, aber nichtsdestotrotz – mit Klaus zum Schachspielen für die nächsten Tage verabredet. Und dann das beabsichtigte Treffen mit Stefanie im Mykonos, schon seltsam.
Langsam vernebelten der dritte Veterano und das siebte
›Love in vain‹ sein Gehirn. Er brauchte jetzt dringend was Kaltes. Leider gab der Kühlschrank außer zwei Flaschen Göcklinger Herrlich nichts mehr her. Er schüttet das Zeug mehr oder weniger im Sturztrunk in sich hinein, um beim fünfzehnten Abspielen eines seiner Lieblingssongs der Stones mit dem Glas in der Hand fest einzuschlafen.
Zum zweiten Mal an diesem Tag riß ihn das Schellen des Telefons aus allen Träumen.
»Mmmm«, murmelte er in den Hörer.
»Verdammt noch mal, Rainer, wir waren verabredet. Wo bleibst du denn?« Stefanie war eindeutig wütend.
»Wieso, wie spät…«
»Scheißkerl, gleich halb neun.«
»Oh Mann, ich bin eingeschlafen,
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