Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
heute zum zweiten Mal außer Kontrolle geriet.
»Weiß nicht, heißt, weiß nicht. Ich möchte nicht mit wildfremden Menschen darüber reden.«
»Wildfremde Menschen? Du meinst, unsere Freunde sind wildfremde Menschen? Was, bitte schön, ist denn dann dieser Türke? Dein neuer Busenfreund? Du hast den doch nur einmal gesehen.«
»Ja, schon. Aber er kennt Klaus. Im Gegensatz zu den Kerlen, die du Freunde nennst.«
»Die ich Freunde nenne? Sag mal, spinnst du? Bisher konntest du es mit den sogenannten Kerlen aber ganz gut.«
»Schrei mich nicht an.« Stefanie Westhoff bremste abrupt und hielt an der Straßenseite. »Ich will’s einfach nicht.
Kapierst du’s?« Ihre Stimme war scharf und lauter als sonst.
»Wer schreit hier wen an, hä? Du doch wohl mich.« Jetzt wurde auch er laut. »Scheinbar hast du an dem Türken einen Narren gefressen. Kein Wunder, ist ja Moslem. Die dürfen keinen Alkohol trinken. Ich bin ja für dich der Säufer vom Dienst.«
»Red keinen Quatsch. Aber besoffen bist du unerträglich, damit das klar ist.«
Er äffte sie nach: »Damit das klar ist, damit das klar ist.
Wenn ich so was schon höre. Ich hab fast den Eindruck, du hast dich in den verknallt. Aber bitte, wenn du meinst.
Vielleicht ist er besser im Bett.«
Sie erstarrte.
Augenblicklich wurde Rainer klar, daß er einen Fehler begangen hatte, einen sehr großen Fehler sogar.
»Stefanie, entschuldige. Ich hab das nicht so gemeint.«
»Doch. Du hast es so gemeint. Genau so.« Sie beugte sich über ihn und öffnete die Beifahrertür.
Er wollte ihr Haar streicheln, doch sie fauchte ihn an: »Laß das. Und jetzt raus.«
»Aber Stefanie, laß uns drüber reden. Du kannst mich doch jetzt hier nicht rauswerfen.«
»Doch, ich kann. Raus. Und zwar schnell.«
»Stefanie, ich hab kein Geld mehr«, bettelte er. »Wir sind hier in Süd.«
»Na und? Dann läufst du eben. Haste auch Zeit zum Nachdenken. Raus jetzt. Endstation.«
»Scheiße.« Resigniert stieg Esch aus dem Wagen. Er beugte sich noch mal zu ihr herunter. »Können wir nicht…«
»Nein.« Sie zog die Autotür mit einem Ruck zu, gab Gas und ließ ihn allein am Straßenrand zurück.
Erst jetzt merkte Rainer Esch, daß es kalt war und regnete.
Und daß seine Lederjacke nebst Zigaretten und Wohnungsschlüsseln in Stefanie Westhoffs Auto lag.
18
Esch hielt seine von Weinkrämpfen geschüttelte Freundin im Arm und beobachtete, wie der Sarg langsam ins Grab hinuntergelassen wurde. Er dachte an Klaus, an Stefanie, an den Tag, als sie ihn ihrem Bruder vorstellte, Klaus quasi als Elternersatz. Rainer dachte an den Abend, als sie vom Tod ihres Bruders berichtete. Ihm gingen die folgenden Tage wie im Zeitraffer durch den Kopf. Sie gehörten zu den unangenehmsten seines Lebens.
Nicht wegen der Klausur, die er in den Teich gesetzt hatte, an solche Ereignisse hatte er sich während der zahlreichen Semester gewöhnt.
Auch das etwas gestörte Verhältnis zu seinen Nachbarn hatte sich schon wieder fast normalisiert, nachdem ihn Frau Ambaster von Parterre links morgens nach dem Streit mit Stefanie völlig durchnäßt und verkühlt unter den Briefkästen schlafend aufgefunden hatte. Die aus dieser Nacht resultierende Erkältung klang schon wieder ab.
Ebensowenig hatten Rainer die salbungsvollen Worte des Beerdigungsunternehmers beeindruckt, der Stefanie mit tiefempfundener Anteilnahme klarmachen wollte, daß neben Glockengeläut und Blumengebirgen nur ein massiver Eichenholzsarg mit Goldbeschlägen den schweren Verlust, den sie erleiden mußte, erträglich machen könne. Ein Argument übrigens, das selbst Stefanie trotz mehrmaliger Überredungsversuche nicht einleuchten wollte. Und so wurde Klaus Westhoff in einfacher Kiefer ohne Gebimmel beerdigt.
Nein, Sorgen machte Rainer nur das gespannte Verhältnis zu seiner Freundin. Seit ihrer nächtlichen Auseinandersetzung lehnte sie es ab, mit ihm zusammen in einer Wohnung zu übernachten. Sie hatte kein Wort mehr über ihre Differenzen verloren und sich in die Vorbereitung der
Beerdigungszeremonie vertieft. Versuche seinerseits, ein klärendes Gespräch herbeizuführen, blockte sie mit der Bemerkung ab, daß sie zu diesem Zeitpunkt den Kopf nun wirklich mit anderen, wichtigeren Dingen voll habe. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß ihm seine Beziehungskiste langsam unter den Händen zerbröselte. Und das Schlimme war, daß eigentlich nur er selbst die Schuld daran trug.
»Vielen, vielen Dank, daß Sie gekommen sind.«
Stefanies
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