Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
Sunrise trinken wollte. Kaum hatte er an der Theke Platz genommen, war ein gutes Dutzend Männer in hautenger Lederbekleidung aufgetaucht, die sich auch an der Theke niederließen. Die Jungs sahen so aus, wie Esch sich die Heils Angels vorstellte, nur mit extrem kurzen Haaren und ohne lange Bärte. Alle waren, ihren muskulösen Oberkörpern nach zu urteilen, Dauergäste in Fitness-Studios. Die Lederjacken trugen sie offen und auf nackter Haut, die Brust und die Oberarme der meisten Männer waren tätowiert. Viele schmückten ihre Ohrläppchen mit Kettchen, Ringen oder Brillies in den Ohrläppchen. Einige hatten Ledermützen auf, die Esch an die Kopfbekleidung von Seeleuten erinnerten.
Solchen martialischen Gestalten würde er normalerweise nicht gern im Dunkeln begegnen. Wie Rainer schnell merkte, waren die Jungs Amerikaner, die ihn zu einem Drink einluden, dem schnell weitere folgten.
Als Esch feststellte, dass er in der Gesellschaft von Schwulen soff, war er schon so zugeschüttet, dass er keine Angst mehr hatte, von den Jungs angebaggert zu werden. Und das passierte auch nicht. Keiner seiner Saufkumpane versuchte ihn davon zu überzeugen, dass er seine Affinität zu Frauen im Allgemeinen und zu Stefanie im Besonderen zugunsten der gleichgeschlechtlichen Liebe aufgeben sollte. Esch verlor seine Unsicherheit schwulen Männern gegenüber und gewann neue Freunde.
Er musste grinsen, als er nun an den Abend dachte. Den nächsten Morgen hatte er aus seiner Erinnerung getilgt, da er ohne medizinische Unterstützung mit einem der schlimmsten Kater seines Lebens fertig werden musste.
Der Bus hatte inzwischen die Paradise Beach erreicht. Rainer machte sich auf den Weg über den Campingplatz zu seinem üblichen Liegeplatz, als er hinter sich das Geknattere eines Motorrollers und eine männliche Stimme hörte.
»Morgen, Rainer.« Der Motorroller fuhr an ihm vorbei und hinterließ eine Staubwolke, die ihn völlig einhüllte.
»Mensch, pass doch auf«, fluchte Esch.
Neben der Rezeption des Campingplatzes schnallten Jürgen und Hiltrud ihre Badesachen vom Gepäckträger des Rollers ab.
Esch hatte beide zum ersten Mal im Elan getroffen, als er sich mit dem aufdringlichen Gerhard auseinander gesetzt hatte.
Auch das Pärchen bevorzugte die Paradise Beach und da war es beinahe zwangsläufig, dass sie sich wieder über den Weg gelaufen waren. Sie hatten einige Abende im Spiros und in Hafenkneipen auf der Akti Kambani miteinander verbracht.
Seit einigen Tagen teilten sie auch den Strandstress.
Jürgen versteckte den Schlüssel für sein Bike wie immer unter dem hochklappbaren Sitz und gemeinsam gingen sie zum Strand.
»Heute ist mein letzter Tag«, bedauerte Esch.
»Wir fahren ja auch übermorgen. Dann lass uns doch heute Abschied feiern«, schlug Hiltrud vor.
»Gute Idee. Harn’ wir wenigstens ‘n Grund. Und wo?«
»Treffen wir uns im Spiros um Sieben? Und gehen dann ins Elan?«
»Einverstanden. Wo sollen wir uns hinhauen? Da vorne?«
Esch zeigte auf drei Liegen, die halb im Schatten der eigentümlichen Bäume standen, die am Strand wuchsen.
Keiner von den dreien wusste, um welche Baumart es sich handelte. Eschs Vorschlag, es wären mutierte Dillsträucher, wollte niemand folgen, obwohl die Bäume wirklich wie zu groß geratener Dill aussahen.
»In Ordnung.«
Am frühen Nachmittag bekam Rainer Esch Durst.
»Geht einer mit an die Bar, was trinken?«, fragte er seine Bekannten.
»Nee, ich nicht.«
»Vielleicht komme ich später nach«, antwortete Jürgen.
»Dann gehe ich allein.« Esch richtete sich auf und machte sich auf den beschwerlichen Weg zur fünfzig Meter entfernten Theke des Sunrise. Sonne macht wirklich faul, dachte er.
Er bestellte ein gezapftes Bier und trank mit Genuss das eiskalte Getränk. Er bezahlte und wollte gerade wieder zurück zu seiner Liege gehen, als die Jungs in Leder den schmalen Weg zwischen Sunrise und Paradise Bar entlang kamen. Sie machten sich nicht die Mühe, weiter zu gehen, sondern blieben, noch halb auf dem Weg stehend, am oberen Ende der Theke stehen.
Einer erkannte Esch und sie hoben grüßend ihre Hände.
Einen Moment später stand vor Esch ein weiterer halber Liter eiskaltes Bier. Rainer prostete ihnen zu und überlegte gerade, ob er mit dem ausgegebenen Bier die Seiten wechseln sollte, als Jürgen auf ihn zusteuerte.
»Muss mal eben zum Klo. Ich komm dann gleich zu dir.«
Esch beschloss, auf Jürgen zu warten, und sah ihm nach, wie er die Toilette des Paradise
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