Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
vor den Prüfern wie vor der Richterin. Alle Prüflinge nebeneinander. Und gefragt wird der Reihe nach. Ganz schlimm sind die Vorträge, die von jedem gehalten werden müssen. Du hörst dir die anderen an, weil es ja sein kann, dass du eine Frage aus dem Bereich gestellt bekommst, und versuchst gleichzeitig, deinen eigenen Vortrag nicht zu vergessen. Wir waren zu viert und ich kam als Letzter dran. Ein echtes Wunder, dass ich bestanden habe. Allerdings nur mit befriedigend.«
»Das ist doch was«, warf Cengiz ein.
»Stimmt. In der Diktion der juristischen Prüfungskommission ist das schon eine tolle Leistung.«
»Eigenartig. Die spinnen, die Juristen«, spottete Cengiz.
»Mein Reden seit anno dunnemals«, sekundierte Rainer.
»Mit Staatsdienst war bei der Zensur nichts drin. Blieb nur die Selbstständigkeit. Aber angesichts der Zahl der Zulassungen von Rechtsanwälten… Der Kuchen wird ja nicht wesentlich größer und alle wollen ein Stück davon abhaben.«
»Trotzdem«, begeisterte sich Rainer. »Du kannst noch etwas bewegen. Wie du da Cengiz heute…«
»Ich sagte doch eben, dass ich nichts zu seiner Freilassung beigetragen habe.«
»Aber du warst bei ihm«, beharrte Rainer auf seinem Standpunkt. »Ich habe währenddessen draußen wie ein dummer Junge auf dem Flur gewartet und konnte nichts tun.«
»Bist du eigentlich noch eingeschrieben?«, wollte Uwe wissen.
»Logo. Ich…«
»Aber nur wegen der Krankenversicherung«, unterbrach ihn Cengiz. »Ansonsten beschäftigt er sich mit den Stones, Schalke 04, Riesling und Taxifahren. Genau in dieser Reihenfolge.«
»Cengiz, du weißt, dass das nicht stimmt. Ich denke immer häufiger darüber nach, mein Studium wieder aufzunehmen.«
»Nachdenken ist richtig. Vor allem nach einem Liter Wein.
Nur kommt dabei nicht viel heraus. Außer alkoholgeschwängertem Selbstmitleid.«
»Arsch.«
»Selber.«
Der Kellner räumte ihre Teller ab und Rainer orderte noch drei Wein und drei Metaxa. »Aber bitte nur den mit den drei Sternen. Die anderen sind so süß«, bat er den Ober. »Und noch drei Mokka. Glykos. Das ist Griechisch und heißt süß«, erklärte er oberlehrerhaft seinen spöttisch blickenden Freunden.
»Für mich bitte nicht.« Der Anwalt hob abwehrend die Hände. »Ich muss noch fahren.«
»Gott sei Dank. Dann kannst du Rainer mitnehmen und dieses Monstrum übernachtet nicht bei mir. So bleibt meine Bude halbwegs intakt«, bemerkte Cengiz. »Wenn der eine Nacht bei dir war, musst du renovieren.«
»Red nicht so ‘n Scheiß. Nachher glaubt Uwe das noch.«
»Tue ich.«
»Siehste.«
»Hört mal«, setzte Uwe ihre Unterhaltung in einem ernsteren Tonfall fort. »Ich glaube übrigens nicht, dass die Kripo die Freilassung von Cengiz so einfach hinnimmt.«
»Wie meinst du das?«, wollte der junge Türke wissen.
»Die halten dich doch für den Täter, oder?«
»Kann sein. Aber die Richterin nicht.«
»Woher weißt du das?«
»Sie hat mich doch freigelassen.«
»Unter Auflagen, ja. Aber nur deshalb, weil die Beweise, die die Staatsanwaltschaft und die Kripo vorgelegt haben, nach ihrer Auffassung nicht für eine Fortdauer des Haftbefehls und der U-Haft ausreichen. Von Unschuld hat sie nichts gesagt.«
»Ich dachte, die Sache sei damit erledigt?«
»Leider nein. Sie fängt erst richtig an.«
Cengiz schwieg betreten. Plötzlich platzte es aus ihm heraus:
»Ich gehe nicht in den Knast. Mit absoluter Sicherheit nicht.
Eher haue ich ab.«
»Cengiz«, versuchte ihn Rainer zu beruhigen, »wenn du dich nicht regelmäßig bei der Polizei meldest, halten die dich erst recht für den Täter.«
Cengiz’ Erregung wuchs. »Das tun sie doch ohnehin. Du hast doch gehört, was Uwe gesagt hat. In den Knast gehe ich nicht, glaubt mir das.«
»Und was ist mit deinem Job? Du kannst doch nicht einfach da wegbleiben. Die schmeißen dich raus.«
»Dann nehme ich Urlaub. Oder werde krank. Ist mir egal. Ich will nicht mehr in den Knast, nie mehr.« Kaya schrie die letzten Worte fast. Mehrere Gäste im Lokal drehten sich verblüfft zu dem Tisch um, an dem die drei saßen.
»Cengiz, bitte. Nicht so laut. Die halbe Kneipe hört dir zu.«
»Na und? Ist mir auch egal. Scheißstaat. Deshalb bin ich nicht Deutscher geworden, um mich hier einbuchten zu lassen.«
»Wär dir auch als Türke passiert«, versuchte Rainer einen seiner Scherze. »Und in Anatolien…«
»Schnauze«, fauchte Cengiz.
Rainer hielt den Mund.
»Ich werde jedenfalls Montag Akteneinsicht
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