Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
nicht abgesprochen war, heiß ich… Ach, was weiß ich.
Zeit hat die geschunden. Zeit für die Flucht ihres Lovers.
Und wir haben hier dumm herumgesessen und gewartet, bis es einem Herrn Staatsanwalt Dr. Müller opportun erschien, den Haftbefehl auszustellen. Ich könnte aus der Haut fahren…«
Erschöpft ließ sich Brischinsky auf seinen Stuhl fallen.
»Tust du doch schon die ganze Zeit«, wagte Baumann zu bemerken.
»Was? Ach so. Hast ja Recht. Natürlich, lass nach Kaya fahnden.« Brischinsky fingerte eine Zigarette aus der Packung, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag, steckte sie sich in den Mund und zündete sie an. Er sog den Rauch heftig ein und sagte entschuldigend: »Baumann, war nicht so gemeint. Du kennst mich ja. Irgendwie muss ich Dampf ablassen. Nimm’s mir nicht übel, du weißt ja, dass…«
»Schon gut, Chef. Ich kenne dich. Leider«, setzte er grinsend hinzu.
Der Hauptkommissar zog gedankenverloren an seiner Zigarette. »Heiner, wir müssen Esch beschatten.«
»Esch?«
»Er ist Kayas bester Freund. Ich verwette meinen Arsch darauf, dass der mit Kaya in Kontakt steht.«
»Warum laden wir ihn nicht einfach vor und verhören ihn?«
»Esch ist von der Unschuld seines Kumpels überzeugt.
Würdest du, und so muss es für Esch aussehen, deinen besten Freund verraten?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Eben. Ich auch nicht. Deshalb können wir uns ein Verhör schenken. Besser ist eine verdeckte Beschattung. Rund um die Uhr. Und besorg eine richterliche Genehmigung, dass wir sein Telefon abhören können.«
»Schon erledigt.«
»Gut.«
Baumann hatte bereits die Türklinke in der Hand, als Brischinsky meinte: »Noch etwas, Heiner.«
»Ja?«
»Aus dir wird mit Sicherheit noch ein ganz passabler Polizist.«
23
Rainer Esch saß nach einer langen Nacht im Taxi am Frühstückstisch, studierte die WAZ und wollte sich gerade seine dritte Reval anzünden und den vierten Kaffee einschütten, als sein Handy klingelte.
»Cengiz hier. Hör mal, Rainer…«
»Wieso bist du denn nicht auf Schicht?«, erkundigte sich sein Freund überrascht.
»Bin krank.«
»Krank? Was hast du denn?«
»Nichts. Ich haue ab.«
»Was machst du?«, fragte Esch entgeistert, obwohl er gut verstanden hatte.
»Ich verdufte.«
»Jetzt bist du völlig bekloppt. Was meinst du, was die Bullen denken, wenn du die Fliege machst? Das ist wie ein unterschriebenes Geständnis. Du musst…«
»Rainer«, unterbrach ihn Cengiz. »Es hat keinen Zweck. Du kannst mich nicht überzeugen. Ich gehe nicht wieder in den Knast. Ich…«
Das stationäre Telefon in Eschs Wohnung schellte. »Bleib dran, ich hör nur eben, wer das ist«, sagte Rainer und ging mit dem Handy in der linken Hand in den Flur, um den Hörer mit der rechten abzunehmen.
»Ja?«
»Losper. Rainer, mich hat eben das Gericht davon verständigt, dass der Haftbefehl gegen Cengiz wieder in Kraft gesetzt wurde. Er muss sich…«
»Scheiße, warte.« Esch hielt sich das Handy an sein linkes Ohr.
»Cengiz, das ist Uwe. Der Haftbefehl ist wieder in Kraft. Du musst dich…«
»Ist Cengiz bei dir?«, erkundigte sich Losper rechts.
»Kann man da was machen?«, wollte Cengiz links wissen.
»Nein«, antwortete Rainer.
»Wieso nein?«, fragte Uwe auf der rechten Seite. »Du redest doch mit ihm. Also ist er doch…«
Gleichzeitig rief Cengiz in sein linkes Ohr: »Hab ich dir ja gesagt, hab ich dir gesagt, oder?«
»Ja«, meinte Rainer. »Aber…«
»Ich geh nicht in den Knast«, hörte er links.
»Was ist denn nun? Wenn Cengiz da ist, gib ihn mir.« Das war wieder rechts.
»Nie mehr, das sag ich dir. Ich haue ab, sofort.« Links.
»Cengiz? Bist du das? Cengiz?« Rechts.
Rainer Esch wurde schlagartig klar, dass er nie in seinem Leben eine Stelle in einem Call-Center annehmen würde. Er nahm beide Telefone von seinen Ohrmuscheln und hielt sie nebeneinander vor seinen Mund. Dann schrie er: »Schnauze.
Alle beide.«
Als er die Geräte wieder an seine Ohren presste, war es still.
Befriedigt sagte er: »Uwe, Cengiz hat mich auf dem Handy angerufen.« Er fuhr fort: »Nicht durcheinander reden. Einer nach dem anderen. Also, Uwe, was ist los?«
Der Anwalt informierte Rainer darüber, dass auf Grund neuer Beweise der Haftbefehl gegen Cengiz wieder in Kraft gesetzt worden sei und die Polizei vergeblich versucht habe, ihn festzunehmen. Da sich Cengiz auf seiner Arbeitsstelle krankgemeldet habe und auch nicht zu Hause gewesen sei, möge Losper, so das Gericht, als
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