Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
bevollmächtigter Rechtsvertreter, doch auf seinen Mandanten einwirken, sich der Polizei zu stellen, bevor er zur Fahndung ausgeschrieben werden müsse. Dieses, so Uwe, sei als ein Entgegenkommen des Gerichtes zu werten und Cengiz solle sich unverzüglich in seine Kanzlei bewegen, um mit ihm gemeinsam zum Polizeipräsidium zu fahren.
»Was soll ich? Wieder in den Knast? Rainer, da gehe ich kaputt. Nein, mein Entschluss steht fest. Wenn du mein Freund bist, hilfst du mir. Kann ich mich auf dich verlassen?«
»Du kannst dich auf mich verlassen«, seufzte Rainer. »Aber du machst einen Fehler.« Und ich auch, dachte er.
»Womit macht er einen Fehler?«, wollte Uwe wissen. »Und worauf kann er sich verlassen?«
»Cengiz wird nicht kommen. Er will nicht in den Knast.«
»Kann ich verstehen, aber müssen wir die Diskussion von Freitag heute wiederholen?«
»Cengiz, Uwe meint, du sollst dir das noch mal überlegen.«
»Das habe ich so nicht gesagt«, maulte der Rechtsanwalt dazwischen. »Da gibt es nichts zu überlegen.«
»Da gibt es für mich nichts mehr zu überlegen«, antwortete Cengiz.
»Da gibt es für ihn nichts zu überlegen«, dolmetschte Rainer.
»Sag ich ja«, meinte Uwe.
»So ist es«, bestätigte Cengiz.
»Aus!«, brüllte Rainer. »Uwe, ich melde mich bei dir.«
Grußlos legte er auf.
»Also, Cengiz, was hast du vor?«
»Ich habe mir heute Morgen ‘nen Krankenschein besorgt.
Vielleicht behalte ich ja so meinen Job. Übrigens, ich bin schon am Flughafen. In zwei Stunden geht mein Flieger.«
Esch war platt. »Wo bist du? In Düsseldorf? Und wohin willst du?«
»Welcher Flughafen spielt keine Rolle. Vielleicht ist dein Handy ja schon angezapft.«
»Cengiz, hast du zu viele Krimis gelesen? Wer soll denn mein Handy abhören?«
»Die Bullen natürlich. Nach mir wird gefahndet, wir sind befreundet, da liegt es doch nahe…«
»Jetzt hat dir endgültig jemand was in den Kaffee getan. Aber gut. Lassen wir das. Wo willst du hin?«
»Erinnerst du dich noch an den Urlaubsort, den du für das nächste Jahr ins Auge gefasst hattest?«
»Ach, du meinst…«
»Klappe. Keine Namen. Da werde ich mich für eine Woche entspannen. Ich melde mich bei dir. Und du sorgst bitte gemeinsam mit Uwe dafür, dass ich nach der Woche wieder zurückkommen kann, ohne für Jahre im Kerker zu laden, ja?«, flehte Cengiz.
»Ich bin doch kein Polizist«, beschwerte sich Rainer. »Ich weiß nicht, ob…«
»Aber Privatdetektiv. Und mein Freund.«
»Letzteres stimmt leider. Und deshalb rate ich dir: Lass das bleiben, Cengiz. Komm zurück. Sofort.«
»Zwecklos, Rainer. Ich ruf dich an, okay?«
»Du elender anatolischer Eselknecht. Okay.«
Ein Knacken ließ Rainer wissen, dass die Verbindung unterbrochen war.
Er versuchte, die wenigen Fakten, die er kannte, zu sortieren.
Dabei musste er feststellen, dass es nichts zu sortieren gab. Er wusste einfach zu wenig. Rainer hielt es für ausgeschlossen, dass Cengiz der Mörder war. Allerdings hatte ihn die Polizei in Verdacht. Und Karin Schattler ging von einem Zusammenhang zwischen der Ermordung ihres Mannes, den Drohbriefen und der Erpressung aus. Wenn ihre Vermutung richtig war, müsste es eine Beziehung zwischen den Kirchner-Söhnen und dem Mörder geben. Die Frage war nur, welche. Außerdem: Was für eine Rolle spielte der junge Mann, dem Dennis auf der Bahnhofstraße die Beutezigaretten gegeben hatte. War er das fehlende Bindeglied? Esch beschloss, das herauszufinden und die Aufkündigung seines Mandates als Privatdetektiv durch Karin Schattler zu ignorieren. Er würde seine Recherche auf eigene Faust und vor allem eigene Rechnung weiterführen.
Letzteres fand er im Hinblick auf seine finanzielle Situation und Cengiz’ bekannten und vor allem unbekannten Kapitalbesitz ausgesprochen generös.
Eine Stunde später klingelte Rainer in dem einzigen Anzug, den er sein Eigen nannte, an der Wohnungstür der Familie Kirchner.
Eine junge Frau öffnete die Tür.
»Guten Tag, mein Name ist Esch. Jugendamt Stadt Herne«, log Rainer und hielt der Frau für einen Moment seinen Studentenausweis unter die Nase, wobei er mit dem Zeigefinger den Schriftzug der Ruhr-Universität abdeckte.
»Sind Sie Frau Kirchner?«, fragte er sofort und verstaute den Ausweis schnell wieder in seiner Tasche.
»Ja, ich bin Monika Kirchner, warum?«
»Es geht um Ihren Sohn Dennis, Frau Kirchner.« Für einen Moment hielt Esch den Atem an. Wenn sein Gegenüber nicht die Mutter des Jungen war, den
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