Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
beantragen.
Dann wissen wir genau, worauf sich die Vorwürfe stützen. Nur abhauen darfst du nicht, Cengiz. Dann wird alles nur noch schlimmer. Wenn sie dich dann kriegen, und glaube mir, sie kriegen dich, wanderst du mit absoluter Sicherheit in den Knast«, unterstützte Uwe Rainer. »Also geh normal zur Arbeit und melde dich bei der Polizei. Ich werde dir helfen, so gut ich kann.«
Cengiz blieb stumm.
Rainer sah seinen Freund lange traurig an und sagte dann zu Uwe: »Danke. Bist doch ‘n echter Kumpel.«
22
»Das darf doch wohl alles nicht wahr sein!« Rüdiger Brischinsky knallte die Schublade seines Schreibtisches zu.
»Da kommt diese Karin Schattler erst heute, um ihre Aussage vom Freitag protokollieren zu lassen, und sagt uns mit einem Lächeln, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte, dass sie am Wochenende – sicher haben Sie dafür Verständnis – nicht konnte, weil sie sich bei ihrer Schwester von dem Stress erholen musste. Vom Stress erholen musste, stell dir das vor!
Was meint die eigentlich, was wir an den Wochenenden am liebsten machen? Im Büro auf Zeugen warten, die dann nicht kommen?«
Der Hauptkommissar holte tief Luft und musterte seinen Assistenten, der den Ausführungen seines Chefs mit vorsichtigem Interesse zuhörte und zurückhaltend Zustimmung signalisierte. Baumann wusste aus leidvoller Erfahrung, dass Brischinsky, wenn er sich nicht anders abreagieren konnte, ohne zu zögern ihn zum Sündenbock machen würde. Umso überraschter war Baumann, dass sein Vorgesetzter ihn nicht als Zielscheibe missbrauchte.
»Und dann dieser Müller. So was nennt sich Staatsanwalt.
Nachdem die Schattler uns versetzt hat, habe ich geschlagene zwei Stunden versucht, den ans Telefon zu bekommen. Und weißt du, wo ich den Herrn Staatsanwalt Dr. Müller erreicht habe? Nein? Kannst du auch nicht wissen. In seinem Golfklub.
Der Kerl hat Bereitschaftsdienst für Notfälle und spielt Golf.
Kannst du dir die Mitgliedschaft in einem Tennisklub leisten?
Siehste. Und der ist im Golfklub. Weiß du, was der mir gesagt hat? Na, was meinst du?«
»Ähm…«, versuchte Baumann erfolglos, eine Bemerkung anzubringen.
»›Herr Brischinsky‹, hat der zu mir gesagt, ›was erwarten Sie von mir? Dass ich einen Haftbefehl ausstelle nur auf Ihre mündliche Versicherung hin, Frau Schattler habe ihren türkischen Geliebten belastet? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!‹ Das wäre nicht mein Ernst, stell dir das vor. ›Bringen Sie mir die schriftliche, unterschriebene Aussage und Sie kriegen Ihren Haftbefehl.‹ Schriftliche Aussage, ha. Drei Stunden habe ich auf die Schattler gewartet. Drei Stunden!«
»Ich auch, Chef«, warf Baumann zaghaft ein.
»Na und? Du bist aber dann ins Wochenende gegangen. Und ich habe mich allein mit diesem Müller herumgeärgert. Dann sagt dieser Staatsanwalt noch zu mir: ›Herr Brischinsky, mir klingeln jetzt noch die Ohren, wenn ich an meinen Auftritt beim Haftprüfungstermin denke. Meinen Sie wirklich, ich lasse meine Argumentation von der Richterin noch einmal derart auseinander nehmen? Nee, mein Lieber.‹ Mein Lieber, hat der gesagt. Und was dann? Na, sag’s mir!«
»Ja, Chef, also…«
»Genau. Jetzt habe ich die unterschriebene Zeugenaussage, zerre den Müller heute Mittag aus dem Gerichtssaal, um mir einen Haftbefehl ausstellen zu lassen, und da sagt der Kerl mit einem süffisanten Grinsen: ›Tja, Herr Brischinsky, warum denn nicht gleich so? Warum nicht gleich so!‹ Ich könnte den…«
Bevor Rüdiger Brischinsky damit beginnen konnte, alle Mordvarianten aufzuzählen, die ihm einfielen, sagte Baumann schnell: »Sollen wir denn Kaya nun zur Fahndung ausschreiben?«
Brischinsky schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
»Natürlich fahnden wir nach Cengiz Kaya, was sonst? Meinst du, ich bin vorhin mit dem Haftbefehl nach Herne gerast, um mit unserem türkischen Mitbürger eine Partie Tabla zu spielen?«
»Tabla, was ist…«
»Backgammon, du kriminalistisches Genie. Tabla ist eine Backgammonvariante. Und, wo wir schon einmal dabei sind: Warum habe ich dich aus Herne wohl angerufen, dass du versuchen sollst, den Kaya auf Eiserner Kanzler zu verhaften, was? Und habe ich Recht? Habe ich Recht? Weg ist der Kerl.
Verduftet. Ausgeflogen. Und warum das alles? Warum sitzt der jetzt nicht ordnungsgemäß in einer kleinen, gemütlichen Zelle und zählt Gitterstäbe, na? Weil seine Geliebte Schattler nicht wie verabredet zur Zeugenaussage gekommen ist. Wenn das
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