Zweyer, Jan - Rainer
aus. Also: Mühlenkamp wurde gefesselt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber Sie haben doch geschrieben…«
»Ich weiß, was in meinem Bericht steht.«
Baumann seufzte. »Dann will ich es so formulieren: Könnten die Faserspuren von einem Seil stammen, mit dem der Tote gefesselt war?«
»Ja.«
»Na bitte!«
»Ich sagte: könnte. Wir haben Druckstellen und Faserspuren an den Handgelenken gefunden. Mehr nicht. Liefern Sie mir eine Spritze und ich kann zuverlässig feststellen, ob das Ding in den Venen des Toten gesteckt hat. Bringen Sie mir ein Seil, und ich sage Ihnen, ob es sich irgendwann an den Handgelenken des Toten befunden hat. Aber ob er damit gefesselt wurde oder Seilchenspringen gemacht hat, müssen Sie herausfinden.«
Der Kommissar schluckte eine nicht sehr freundliche Entgegnung herunter. »Danke. Sie haben mir wirklich sehr geholfen.« Frustriert legte er auf.
Er kratzte sich am Kopf. War Mühlenkamp nun ein Fall für sie oder nicht?
21
Etwas später als üblich waren Elke und Rainer in ihrer Kanzlei eingetroffen. Da Rainer vergessen hatte einzukaufen, war ein gemeinsames Frühstück in seiner Wohnung ausgefallen. Sie hatten Brötchen, Wurst und Käse besorgt und wollten nun in ihrem Büro das Versäumte nachholen. Rainer hatte jedoch kaum nach der Butter gegriffen, als ihn Martina Spremberg in sein Zimmer schob.
»Sie wartet schon seit einer halbe Stunde. Ich glaube, sie ist nicht besonders gut drauf«, meinte die Angestellte.
Martina hatte Recht. Sabine Schollweg saß wie ein Häuflein Elend mit verweinten Augen auf einem der alten Freischwinger.
Der Anwalt begrüßte seine Mandantin.
»Paul hat mich angerufen«, platzte es aus ihr heraus. »Er hat mich beschimpft. Aber er hat es bestimmt nicht so gemeint«, schränkte sie sofort ein. »Schließlich war er betrunken. Er will mit mir reden.«
»Worüber?«
»Über das Haus. Er kann nicht verstehen, warum es jetzt, wo Horst tot ist, nicht ihm gehört. Er glaubt, ich sei daran schuld.
Aber ich wusste doch nicht einmal, dass Horst…« Sie fing an zu schluchzen. »Er will mich treffen. Ich möchte, dass Sie mich begleiten.«
»Wann?«
»Wir haben noch keinen Termin ausgemacht. Aber…«
»Ja?«
»Ich habe mir gestern angesehen, wo Horst gestorben ist. Das ist so weit von seiner Wohnung entfernt. Er ist dort bestimmt nicht hingelaufen. Warum sollte er das tun? Den Kanal entlangjoggen, sicher. Aber bis in die Teutoburgia-Siedlung?«
Rainer nickte. Das Verhalten Horst Mühlenkamps war schon merkwürdig.
»Ich habe in den vergangenen Tagen ständig darüber nachgedacht. Ich glaube, Horst wurde ermordet.«
»Wie bitte?«
»Er hatte doch seine Lebensversicherung verkauft. Dann haben die Medikamente geholfen und er ist wieder gesund geworden. Völlig gesund.« Ihr kamen erneut die Tränen. »Und dann das.« Sie straffte sich. »Bestimmt steckt diese Gesellschaft dahinter. Schließlich haben die ja fünfundzwanzigtausend Euro bezahlt in der Erwartung, dass Horst schnell stirbt. Aber den Gefallen hat er ihnen nicht getan.
Die haben ihn umgebracht!« Bei ihren letzten Worten war sie aufgesprungen, die Fäuste geballt. »Die Unterlagen über diesen Verkauf sind in der Wohnung von Horst. Ich möchte sie holen. Sie übernehmen das Mandat. Die Nebenklage. So heißt das doch, oder?«
»Eigentlich können Sie keine Nebenklage erheben.«
»Warum nicht?«
»Sie waren nicht verheiratet. Nur Ehegatten, Eltern oder Geschwister sind dazu berechtigt.«
Sie zögerte einen Moment. »Dann muss das eben Paul machen. Sie begleiten mich aber trotzdem, ja?«
Rainer war nicht sehr überzeugt.
»Da kann ich dann auch gleich mit Paul reden. Ich will sein Haus nicht. Er kann es behalten.«
»Wann soll die Unterredung stattfinden?«, fragte Rainer erneut.
»Heute. Gleich. Mein Wagen steht unten.«
Da ging es hin, sein Frühstück mit Elke. »Na gut«, erwiderte er. »Bringen wir es hinter uns.«
Auch nach dem dritten Klingeln öffnete Paul Mühlenkamp nicht.
»Er ist nicht zu Hause. Sie sollten ihn anrufen und einen Termin vereinbaren.«
»Ich will die Unterlagen. Jetzt.« Die junge Frau kramte in ihrer Handtasche.
»Aber…«
»Ich habe einen Schlüssel.« Sie suchte weiter. »Irgendwo muss er doch…«
Der Anwalt rekapitulierte seine Kenntnisse des Paragrafen 123 des Strafgesetzbuches. Danach macht sich derjenige strafbar, der widerrechtlich in die Wohnung, die Geschäftsräume oder das befriedete Besitztum eines anderen eindringt. Auf
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