Zwielicht
größeren Wohnwagen ab, der dort seinen festen Standplatz hatte. Auch Ryas Besitz in Gibsontown ging durch geschickte Manipulationen und Umschreibung der Papiere in meinen Besitz über, und dort lebte ich allein von Mitte Oktober bis eine Woche vor Weihnachten, als eine bezaubernde junge Frau bei mir einzog. Sie hatte Ryas strahlend blaue Augen und Ryas perfekte Figur, aber ihre Haare waren rabenschwarz, und sie hatte etwas andere Gesichtszüge als Rya. Sie sagte, ihr Name sei Cara MacKenzie, sie sei meine verschollene Kusine aus Detroit, und sie wäre der Meinung, wir hätten eine ganze Menge zu besprechen.
Trotz meiner Vorsätze, verständnisvoll und menschlich zu sein und ihr zu verzeihen, konnte ich meine Mißbilligung und meinen Groll nicht so leicht vergessen. Bis zum ersten Weihnachtstag waren wir beide viel zu gehemmt, um viel miteinander zu sprechen. Doch dann fanden wir kein Ende. In den nächsten Wochen tasteten wir uns behutsam vor, knüpften zerrissene Bande neu; erst am 15. Januar gingen wir wieder miteinander ins Bett, und anfangs klappte es nicht so gut wie früher. Doch schon Anfang Februar beschlossen wir, daß Cara MacKenzie nicht meine Kusine aus Detroit, sondern meine Frau sein sollte, und in jenem Winter wurde in Gibsontown eine Riesenhochzeit gefeiert.
Vielleicht war sie mit schwarzen Haaren nicht so hinreißend wie mit blond-brünetten, und vielleicht hatte die plastische Chirurgie die Schönheit ihres Gesichts leicht beeinträchtigt, aber für mich war sie noch immer die schönste Frau der Welt. Was aber noch wichtiger war — aus ihrem Wesen verschwand allmählich jene seelisch verkrüppelte Rya, die wie ein Troll besonderer Art in ihr gehaust hatte.
Die Welt drehte sich weiter, so wie immer.
Im nun zu Ende gegangenen Jahr war unser Präsident in Dallas ermordet worden. Es war das Ende der Unschuld, das Ende einer bestimmten Denk- und Lebensweise, und manche Menschen verzagten und sagten, es wäre auch der Tod aller Hoffnung. Doch obwohl fallendes Herbstlaub skelettartige Äste enthüllt, kleidet der Frühling die Bäume neu ein.
In jenem Jahr hatten die Beatles ihre erste Schallplatte in den USA veröffentlicht, Skeeter Davis' Song ›The End of the World‹ war der größte Hit gewesen, und die Ronettes hatten ›Be My Baby‹ aufgenommen.
Und gegen Ende des Winters — das neue Jahr war noch keine drei Monate alt — kehrten Rya und ich nach Yontsdown, Pennsylvania, zurück und verbrachten dort einige Märztage, um den Feind auf seinem eigenen Territorium zu bekämpfen.
Doch das ist eine neue Geschichte.
Teil II - DUNKLER BLITZ
Unzählige verschlungene Nachtpfade zweigen vom Zwielicht ab.
*
Etwas bewegt sich inmitten der Nacht, das nicht gut und nicht richtig ist.
*
Das Flüstern der Dämmerung entsteht, wenn sich die Nacht häutet.
The Book of Counted Sorrows
19 - Das erste Jahr des neuen Krieges
John F. Kennedy war tot und bestattet, aber das Echo seines Trauermarsches wollte und wollte nicht verklingen. In jenem grauen Winter schien die Welt hauptsächlich Totengesänge anzustimmen, und der Himmel hing tiefer als je zuvor. Sogar in Florida, wo Wolken eine Seltenheit sind, fühlten wir jenes Grau, das wir nicht sahen, und sogar im Glück unserer Ehe konnten Rya und ich unsere Augen nicht völlig vor der düsteren Stimmung der übrigen Welt und vor den Erinnerungen an unsere schrecklichen Erlebnisse des Vorjahres verschließen.
Am 29. Dezember 1963 wurde die Beatles-Schallplatte ›I Want to Hold Your Hand‹ zum erstenmal von einem amerikanischen Rundfunksender gespielt, und Anfang Februar 1964 stand sie in sämtlichen Hitparaden des Landes an erster Stelle. Wir brauchten diese Musik. Durch dieses Lied und die vielen anderen, die sich daran anschlossen, entdeckten wir wieder, was Freude ist. Die vier Pilzköpfe aus Großbritannien wurden zu Symbolen von Leben, Hoffnung, Wandel und Neuanfang. Jenem ersten Song folgten im selben Jahr ›She Loves You‹, ›Can't Buy Me Love‹, ›Please Please Me‹, ›I saw Her Standing There‹, ›I Feel Fine‹ und mehr als zwanzig weitere Titel, optimistische Musik in einer solchen Fülle, wie sie uns seitdem nie wieder beschert wurde.
Und wir brauchten diese optimistische Musik dringend, nicht nur, um jenen November-Mord von Dallas vergessen zu können, sondern auch, um ein wenig von den am Horizont heraufziehenden schwarzen Wolken des Todes und der Vernichtung abgelenkt zu werden. Dies war das Jahr des
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