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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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einziges Mal zu schneuzen.
    »Ich kann sie nicht wie ihr klar und deutlich sehen«, sagte Horton, »aber ich habe schon als kleiner Knirps gemerkt, daß manche Leute irgendwie falsch riechen. Ich kann das schlecht erklären. Es ist ein bißchen wie der Geruch uralter Sachen, versteht ihr... wie Staub, der sich in Jahrhunderten ungestört in einem tiefen Grabgewölbe ansammeln konnte... aber doch nicht ganz wie Staub. Wie etwas Schales... aber nicht ganz.« Mit gerunzelter Stirn suchte er nach den richtigen Worten. »Außerdem riechen sie bitter, aber nicht nach Schweiß oder sonstigen Körperausdünstungen. Vielleicht ein bißchen wie Essig, aber nicht ganz. Vielleicht nach Ammoniak... nein, auch nicht. Manche von ihnen haben nur einen ganz schwachen Geruch an sich, andere hingegen... stinken bestialisch. Und dieser Geruch sagt mir von jeher, seit meiner frühen Kindheit, so etwas wie: ›Halt dich von dem da fern, Horton, das ist ein unguter Kerl, ein übler Bursche. Beobachte ihn und sei vorsichtig, sei vor ihm auf der Hut.‹«
    »Unglaublich!« rief Rya.
    »So ist es aber«, sagte Horton.
    »Ich zweifle nicht daran«, beruhigte sie ihn.
    Ich wußte jetzt, warum er uns nicht für verrückt gehalten hatte, weshalb er unsere fantastische Geschichte ohne weiteres akzeptiert hatte. Seine Nase sagte ihm das gleiche wie uns unsere Augen.
    »Das hört sich so an, als besäßen Sie einen übernatürlichen Geruchssinn«, konstatierte ich.
    Growler gab ein zustimmendes »Wuff« von sich, legte sich hin und ließ den Kopf auf die Vorderpfoten sinken.
    »Ich weiß nicht, wie man es nennen soll«, sagte Horton. »Ich weiß nur, daß ich es mein Leben lang hatte. Und ich wußte schon früh, daß ich mich auf meinen Riecher verlassen konnte. Wenn meine Nase mir sagte, daß jemand ein elender Lump sei, auch wenn er noch so nett aussah und sich noch so freundlich gebärdete, dann stellte ich alsbald fest, daß die meisten Menschen seiner Umgebung — Nachbarn, Ehemänner, Ehefrauen, Kinder, Freunde — immer ein ungewöhnlich schweres Leben hatten. Ich meine... jene Typen, die schlecht rochen... irgendwie brachten sie ihren Mitmenschen immer Elend und Not. Viele ihrer Freunde und Verwandten starben zu früh und auf unnatürliche Weise. Aber natürlich konnte man nie mit dem Finger auf sie zeigen und sie für irgend etwas verantwortlich machen.«
    Rya zweifelte nicht daran, daß sie sich jetzt frei bewegen durfte. Sie öffnete den Reißverschluß ihrer Skijacke und zog sie aus.
     
    »Aber Sie sagten vorhin, Sie hätten an uns etwas Besonderes gerochen. Folglich können Sie außer Trollen auch andere Dinge mit Ihrem Geruchssinn wahrnehmen.«
     
    Horton schüttelte seinen grauen Kopf. »Ich habe das bei euch beiden zum allerersten Mal erlebt. Mir ist sofort ein besonderer Geruch in die Nase gestiegen, ein bisher ungekannter Geruch, der fast genauso sonderbar war wie die Gerüche jener, die ihr Trolle nennt... aber doch ganz anders. Schwer zu beschreiben. Ein bißchen wie der scharfe, reine Geruch von Ozon. Ihr wißt doch, was ich meine... Ozon, wie nach einem starken Gewitter, jener frische Geruch, der einem das Gefühl gibt, daß die Luft noch elektrisch geladen ist, und daß diese Elektrizität einen durchströmt, einem neue Energie zuführt und Müdigkeit und Überdruß vertreibt.«
    Während nun auch ich meine Jacke auszog, fragte ich: »Nehmen Sie diesen Geruch an uns auch jetzt wahr?«
    »Na klar.« Er rieb seine rote Nase mit Daumen und Zeigefinger einer Hand. »Ich hab' ihn sofort wahrgenommen, als ihr vorhin das Haus betreten habt.« Er grinste plötzlich, sichtlich stolz auf seine besondere Gabe.
    »Und ich hab' mir von Anfang an gesagt: ›Horton, diese Kinder sind anders als andere Menschen, aber es ist kein negativer Unterschied.‹ Die Nase weiß das.«
    Growler brummte tief in der Kehle, und sein Schwanz schlug auf den Teppich.
    Mir fiel plötzlich ein, daß die ungewöhnliche Affinität zwischen Herr und Hund vielleicht von der Tatsache herrührte, daß bei beiden der Geruchssinn am stärksten von den fünf Sinnen ausgeprägt war. Während ich das dachte, sah ich, daß der Mann seine Hand ausstreckte, um den Hund zu streicheln, und gleichzeitig hob der Hund seinen schweren Kopf, um sich streicheln zu lassen, genau im selben Moment, als die Hand sich zu bewegen begann. Es war fast so, als bewirke sowohl das Bedürfnis des Hundes nach Zärtlichkeit als auch das Bedürfnis des Menschen, Zuneigung zu schenken,

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