Zwielicht
übertönen.
Ich näherte mich ihm so schnell und lautlos wie nur irgend möglich. Falls der Unhold auf mich aufmerksam wurde, würde er bestimmt einen Schrei ausstoßen und damit andere alarmieren. Ich hatte nicht das geringste Verlangen danach, durch das unterirdische Labyrinth zu hetzen, die Dämonen dicht auf den Fersen, ohne durch das riskante Eindringen ins Herz des Berges irgend etwas erreicht zu haben.
Ich huschte von Schatten ins Licht und wieder in Schatten.
Der Troll trällerte weiter vor sich hin.
25 Meter.
20 Meter.
Mein Herz schien so laut zu dröhnen wie die Bohrmaschinen und Preßlufthämmer, die hier einst eingesetzt worden waren.
18 Meter.
Schatten, Licht, Schatten...
Ich wollte meinen Feind nicht erschießen, obwohl ich die Pistole zur Hand hatte, sondern ihn überraschend von hinten anspringen und ihm die Kehle zuschnüren, bis Rya mit dem Pentothal zur Stelle sein würde. Dann könnten wir den Troll befragen, denn obwohl Pentothal in erster Linie ein Beruhigungsmittel war, wurde es manchmal auch als ›Wahrheitsserum‹ bezeichnet, weil man unter seiner Einwirkung kaum mehr lügen konnte.
15 Meter.
Ich konnte natürlich nicht sicher sein, daß Pentothal bei Trollen genauso wirken würde wie bei Menschen. Die Chancen standen aber nicht schlecht, denn abgesehen von ihrer Fähigkeit zur Metamorphose schienen sie einen ähnlichen Stoffwechsel wie wir zu haben.
12 Meter.
Ich glaube nicht, daß die Kreatur mich hörte. Ich glaube auch nicht, daß sie mich roch oder sonstwie bemerkte. Aber sie hörte auf zu summen, drehte sich um, ließ das Meßinstrument sinken und hob den scheußlichen Kopf. Sie sah mich sofort, denn ich befand mich gerade auf einem hellen Quadrat des Schachbretts.
Die glühenden roten Augen sprühten bei meinem Anblick Blitze.
Ich war noch zu weit von dem Unhold entfernt, als daß ich mich auf ihn hätte stürzen können, bevor es ihm gelänge, um Hilfe zu schreien. Deshalb tat ich das einzig mögliche: Ich gab zwei Schüsse ab, und der Schalldämpfer sorgte dafür, daß nur ein leises Fauchen zu hören war. Der Troll taumelte rückwärts und stürzte tot zu Boden, eine Kugel in der Kehle, die andere zwischen den Augen.
Die Messingpatronenhülsen rollten klirrend über den Boden, und ich hob sie hastig auf, weil sie den Trollen unsere Anwesenheit verraten könnten.
Rya kniete schon neben dem toten Troll und fühlte seinen Puls, registrierte jedoch keinen mehr. Seine Verwandlung in die Menschengestalt war fast abgeschlossen, und ich sah, daß er sich als junger Mann Ende Zwanzig getarnt hatte.
Weil der Tod sehr schnell eingetreten war, hatte er nicht stark geblutet. Das wenige Blut, das auf den Boden getropft war, wischte ich rasch mit einem Taschentuch auf.
Rya packte den Troll bei den Füßen, ich packte ihn bei den Armen, und wir trugen ihn ans äußerste Ende des Raums, wo zwischen den letzten Lampen und der Rückwand gut sechs Meter Dunkelheit lag. Wir versteckten die Leiche, ihre Werkzeuge und das blutige Taschentuch in der hintersten Ecke.
Würde der Dämon vermißt werden? Würde er schon bald vermißt werden?
Was würden sie machen, wenn sie ihn vermißten? Die Minen durchsuchen? Wie gründlich? Und wann?
Rya und ich flüsterten so leise miteinander, daß es mehr aufs Lippenlesen als aufs Hören ankam.
»Was jetzt?« fragte sie.
»Jetzt tickt eine Zeitbombe.«
»Das ist mir klar.«
»Wenn er vermißt wird...«
»Wahrscheinlich erst in ein bis zwei Stunden.«
»Wahrscheinlich«, stimmte ich zu.
»Vielleicht noch später.«
»Wenn sie ihn finden...«
»Das wird noch länger dauern.«
»Dann gehen wir also weiter.«
»Wenigstens noch ein kleines Stück.«
Wir eilten durch den breiten Korridor. Er führte in eine riesige, runde unterirdische Halle mit einem Durchmesser von mindestens 60 Metern und einer kuppelförmigen Decke von etwa zehn Metern Höhe. Leuchtstoffröhren tauchten alles in helles Licht. Eine Hälfte des Raums war mit einer unglaublichen Anzahl verschiedener Maschinen angefüllt: große und kleine Bohrmaschinen, elektrisch betriebene Fließbänder, Gabelstapler, Maschinen zum Zerkleinern von Felsgestein und vieles andere mehr. In der anderen Hälfte der Halle lagerten aufgestapelte Balken, sorgsam aufgeschichtete Pyramiden aus kurzen Stahlträgern, riesige Bündel Stahlruten, Hunderte — vielleicht sogar Tausende — Säcke Beton, große Haufen Sand und Kies, große Rollen dicker Kabel, kleinere Rollen Kupferdraht,
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