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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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aber größere Wohnwagen mit festen Betonfundamenten, und sie lebten in diesem Refugium, bis im Frühjahr eine neue Saison begann. Sie blieben eben am liebsten unter sich, hielten sich abseits von der ›normalen‹ Welt, die sie als langweilig, unfreundlich und beschränkt empfanden und in der sie sich durch allzu viele überflüssige Gesetze eingeengt fühlten. Und wohin ihr Wanderberuf sie während der Saison auch führen mochte — sie blieben dem Ideal von Gibsonton treu und kehrten allabendlich an einen vertrauten Ort zurück, in ihr ›Gibtown-auf-Rädern‹.
    Das ganze übrige moderne Amerika weist immer stärkere Tendenzen einer totalen Zersplitterung auf. Jahr für Jahr nimmt das Zusammengehörigkeitsgefühl in allen ethnischen Gruppen ab; Kirchen und sonstige Institutionen, die einst eine Gemeinschaft zusammenschweißten, werden heute oft als wertlos bezeichnet oder sogar als ›Unterdrückungsmechanismen‹ angeprangert, so als übte das scheinbare Chaos im Universum auf unsere Landsleute eine derartige perverse Anziehungskraft aus, daß sie es auf der Erde unbedingt nachahmen wollen, selbst wenn das zur Vernichtung führen sollte. Im Gegensatz dazu besitzen Schausteller ein stark ausgeprägtes und stolz bewahrtes Gemeinschaftsgefühl, dem der anarchistische Zeitgeist nichts anhaben kann.
    Auf dem Rummelplatz waren inzwischen alle Geräusche verstummt, und während ich den Hügelpfad zur Wiese hinablief, hörte ich im Dunkeln Grillen zirpen. Aus unzähligen Wohnwagenfenstern fiel bernsteinfarbenes Licht, das in der feuchten Luft schimmerte und den seltsamen Eindruck erweckte, als würden dort unten in einer primitiven Siedlung Lagerfeuer und Öllampen brennen. Überhaupt mutete Gibtown-auf-Rädern in der Dunkelheit, die alle modernen Einzelheiten verhüllte, wie ein großes Zigeunerlager an, das gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung irgendwo im Europa des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Als ich die ersten Wohnwagen erreichte, gingen hier und da schon die ersten Lichter aus. Müde Schausteller begaben sich zur wohlverdienten Ruhe.
    Auf dem Gelände herrschte eine Stille, die beredtes Zeugnis von der Rücksichtnahme unter Fahrensleuten ablegte. Hier gab es keine dröhnenden Radios und Fernseher, keine alleingelassenen schreienden Babys, kein Gebrüll, keine bellenden Hunde — Dinge, die in sogenannten respektablen Wohngegenden der bürgerlichen Gesellschaft durchaus keine Seltenheit sind. Und bei Tageslicht konnte man auch feststellen, daß auf den Wegen zwischen den Wohnwagen keine Abfälle herumlagen.
    Während meiner dreistündigen Pause hatte ich nicht nur mein Gepäck in den Wohnwagen gebracht, den ich mit drei anderen Burschen teilen sollte, sondern auch gleich festgestellt, wo Rya Raines' Airstream stand, so daß ich jetzt, beladen mit Münzen und einem dicken Bündel Dollarscheinen, auf direktem Wege hingehen konnte.
    Die Tür war geöffnet, und im Schein einer Leselampe sah ich Rya, die in einem Lehnstuhl saß und sich mit einer Zwergin unterhielt.
    Ich klopfte an die offene Tür, und sie rief: »Komm herein, Slim.«
    Ich ging die drei Metallstufen hinauf und betrat den Wohnwagen. Die Zwergin drehte sich nach mir um. Sie war etwa einen Meter groß und hatte einen normalen Rumpf, viel zu kurze Arme und Beine und einen großen Kopf. Ihr Alter war sehr schwer zu schätzen — sie konnte zwanzig oder auch fünfzig sein. Rya stellte uns gegenseitig vor. Die kleine Frau hieß Irma Lorus und war in Ryas Wurfbude tätig. Sie trug Kinder-Tennisschuhe, eine schwarze Hose und eine weite pfirsichfarbene Bluse mit kurzen Ärmeln. Ihr schwarzes Haar war dick und glänzend, und es schimmerte dunkelblau wie Rabenflügel. Offenbar war sie stolz auf dieses prächtige Haar, denn es hatte einen perfekten Schnitt und umrahmte ihr übergroßes Gesicht auf vorteilhafte Weise.
    »Ach ja«, sagte Irma, während sie mir ihre kleine Hand reichte, »ich habe schon viel von dir gehört, Slim MacKenzie. Mrs. Frazelli — ihr und ihrem Mann Tony gehört das Bingo Palace — meint, du seist noch viel zu jung, um auf eigenen Füßen zu stehen. Du brauchtest unbedingt mütterliche Zuwendung und gute Hausmannskost. Harv Seveen, dem eine der Tanzshows gehört, glaubt, daß du dich entweder vor dem Militärdienst drücken willst oder aber wegen irgendeines kleinen Deliktes vor den Bullen auf der Flucht bist; jedenfalls findet er dich ganz in Ordnung. Die Ausrufer sagen, du wüßtest, wie man Leute anlockt, und könntest

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