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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Ortsschild von Yontsdown.
    Trotz seiner aus dem 19. Jahrhundert stammenden Industrieanlagen — der Stahlhütte, aus der in der Ferne grauer Rauch und weißer Dampf aufstieg, sowie dem geschäftigen Rangierbahnhof — sah Yontsdown irgendwie mittelalterlich aus. Unter einem Sommerhimmel, der sich rasch mit eisenfarbenen Wolken verhängte, fuhren wir durch enge Straßen, von denen einige tatsächlich noch Kopfsteinpflaster hatten. Obwohl es hier überall genügend freies Land gab, standen die Häuser dicht neben- und hintereinander. Fast alle waren mit einer dicken graugelben Staubschicht überzogen, und mindestens ein Drittel hätte dringend einen frischen Verputz, ein neues Dach oder neue Dielen für die Holzveranda benötigt. Die Läden, Warenlager und Büroräume waren trist, und es gab kaum Anzeichen von Wohlstand. Eine schwarze Eisenbrücke aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise verband die Ufer des schmutzigen Flusses, der die Stadt in zwei Hälften teilte, und die Reifen des Cadillacs sangen eine trostlose eintönige Melodie, während wir diese Metallbrücke überquerten. Die wenigen großen Gebäude waren maximal sechs bis acht Stockwerke hoch; diese Bauten aus Ziegelsteinen und Granit trugen zu der mittelalterlichen Atmosphäre bei, weil sie — zumindest in meinen Augen — kleinen Burgen glichen: Fenster, schmal wie Schießscharten, ausladende Eingänge mit unverhältnismäßig großen und massiven Seitenpfosten aus Granit. Diese Tore wirkten so düster und abschreckend, daß es mich nicht gewundert hätte, wenn über einem davon die scharfen Spitzen eines hochgezogenen Fallgitters zu sehen gewesen wären. Manche der flachen Dächer hatten sogar zinnenartige Vorsprünge.
    Der Ort gefiel mir nicht.
    Wir fuhren an einem zweistöckigen Gebäude vorüber, von dem ein Flügel durch Feuer verwüstet worden war. Teile des Schieferdachs waren eingebrochen, die meisten Fensterscheiben durch die Hitze explodiert, und die Ziegel, deren ursprüngliche Farbe unter dem in vielen Jahren abgelagerten Kohlenstaub kaum noch zu erkennen war, hatten über den gähnenden Fensteröffnungen anthrazitfarbene Rußfächer. Renovierungsarbeiten waren offenbar im Gange, denn wir sahen im Vorbeifahren einige Bauarbeiter.
    »Das hier ist die einzige Grundschule der Stadt«, erklärte Jelly. »Letzten April ist der Heizöltank explodiert, obwohl es ein warmer Tag war, an dem die Heizung überhaupt nicht eingeschaltet war. Ich weiß nicht, ob man inzwischen ermittelt hat, wie das passieren konnte. Eine schreckliche Sache... Ich habe in den Zeitungen darüber gelesen. Die Geschichte ging durch die gesamte nationale Presse. Sieben kleine Kinder sind verbrannt, und es hätte noch viel mehr Todesopfer gegeben, wenn nicht einige der Lehrer sich geradezu heldenhaft gezeigt hätten. Es ist ein echtes Wunder, daß nicht vierzig oder fünfzig Kinder ums Leben gekommen sind — oder sogar hundert.«
    »O Gott, wie g-g-g-grauenhaft«, stotterte Luke. »Kleine Kinder.« Er schüttelte den Kopf. »Die W-Welt kann w-w-wirklich g-grausam sein.«
    »Stimmt«, bestätigte Jelly.
    Ich drehte mich um und blickte zur Schule zurück. Von dem ausgebrannten Gebäude gingen sehr negative Vibrationen aus, und ich hatte das sichere Gefühl, daß es der Schauplatz einer weiteren Tragödie werden würde.
    Wir hielten an einer roten Ampel, neben einem Cafe, vor dem ein Zeitungsautomat stand. Ich konnte vom Auto aus die Schlagzeile des Yontsdown Register lesen: VIER TOTE DURCH FLEISCHVERGIFTUNG BEI KIRCHENPICKNICK.
    Offenbar hatte auch Jelly die Schlagzeile gelesen, denn er murmelte: »Diese verdammte Stadt braucht einen Vergnügungspark diesmal noch mehr als sonst.«
    Wir fuhren noch zwei Blocks weiter und stellten den Cadillac sodann auf dem Parkplatz hinter dem Rathaus ab, neben mehreren schwarzweißen Streifenwagen. Der vierstöckige Bau aus Sandstein und Granit, in dem sowohl die Stadtverwaltung als auch die Polizei untergebracht war, mutete noch mittelalterlicher als der übrige Ort an. Vor den schmalen Fenstern waren Eisengitter angebracht. Das flache Dach war von einer niedrigen Mauer umgeben, die eine geradezu frappierende Ähnlichkeit mit Burgzinnen hatte.
    Dieses Rathaus war nicht nur eine architektonische Mißgeburt, sondern strahlte so etwas wie bösartiges Leben aus. Ich hatte das unangenehme Gefühl, als hätte diese Konstruktion aus Stein, Mörtel und Stahl auf irgendeine Weise ein Bewußtsein erlangt, als beobachtete sie uns beim Aussteigen, als

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