Zwielicht
trotz meines verzweifelten Leugnens flatterte in meiner Brust ein wildes Entsetzen, wie ein Vogel im Käfig; und ich brachte es einfach nicht über mich, das Leintuch wegzuziehen und Rya anzuschauen. Ich lehnte mich an das Kopfende und vergrub mein Gesicht in den Händen.
In den letzten Tagen hatte ich überzeugende Beweise erhalten, daß die Trolle real waren, keine Ausgeburt meiner krankhaften Fantasie. Tief im Herzen hatte ich immer gewußt, daß sie real waren, daß ich nicht unschuldige Menschen umbrachte, nur weil ich unter der Wahnvorstellung litt, daß sich in ihnen Trolle verbargen. Und doch waren mir immer Zweifel geblieben, und ich hatte hin und wieder befürchtet, wahnsinnig zu sein. Nun aber wußte ich, daß auch Joel Tuck die dämonischen Wesen sah. Und ich hatte mit einem Leichnam gekämpft, der sich durch einen winzigen Funken trollischer Lebenskraft neu belebt hatte; wenn es die Leiche eines normalen Menschen gewesen wäre, eines unschuldigen Opfers meiner Wahnvorstellungen, hätte sie nie zu neuem Leben erwachen können. Diese Fakten waren doch bestimmt gewichtige Einwände gegen die Anklage, geisteskrank zu sein, die ich oft gegen mich selbst erhoben hatte.
Trotzdem vergrub ich jetzt mein Gesicht in den Händen, und brachte es einfach nicht über mich, Rya zu berühren, aus Angst vor dem, was ich möglicherweise getan hatte.
Der Blutgeschmack im Mund rief einen Würgereiz hervor. Ich atmete tief durch, aber dadurch hatte ich nun auch noch einen Blutgeruch in der Nase.
In den letzten Jahren hatte ich immer wieder einmal düstere Augenblicke durchlebt, in denen ich unter dem Eindruck litt, daß die Welt nichts weiter als ein riesiger Schlachthof sei, aus dem einzigen Grund erschaffen und in Umlauf gesetzt, um die Bühne für ein kosmisches Kasperltheater abzugeben — und dies war einer jener Momente. Wenn ich einen solchen Anfall von Depression hatte, kam es mir immer so vor, als sei der Mensch nur Schlachtvieh: Entweder wir brachten einander um, oder wir fielen den Trollen zum Opfer, oder aber uns traf eine jener Launen des Schicksals — Krebs, Erdbeben, Flutkatastrophen, Hirntumore, Blitzschläge —, die Gottes fantasievolle Beiträge zur Handlung waren. Unser aller Leben schien mit Blut geschrieben zu sein. Doch bisher hatte ich mich immer von diesen Depressionen befreien können, indem ich mich an den Glauben klammerte, daß mein Kreuzzug gegen die Trolle Leben rettete und daß ich eines Tages eine Möglichkeit entdecken würde, andere Männer und Frauen von der Existenz der Monster zu überzeugen, die getarnt unter uns lebten. In meinem Szenarium der Hoffnung würden die Menschen dann aufhören, gegeneinander zu kämpfen und einander zu verletzen. Sie würden sich zusammenschließen und den wirklichen Feind bekämpfen. Doch wenn ich Rya in einem Anfall angegriffen und umgebracht hatte, wenn ich einen geliebten Menschen töten konnte, dann war ich wahnsinnig, und jede Hoffnung für mich selbst und für die Zukunft der Menschheit war...
Rya wimmerte im Schlaf.
Ich schnappte nach Luft.
Sie schlug um sich, warf den Kopf von einer Seite auf die andere, riß an dem Laken, bis ihr Gesicht und ihr Hals zu sehen waren — ohne jeden Zweifel hatte auch sie einen Alptraum. Ihr Gesicht war so schön wie zuvor — unverletzt, ohne Bißwunden —, obwohl sie die Stirn runzelte und den Mund zur Grimasse verzog. Auch ihr Hals war unverletzt. Kein Blut war zu sehen.
Mir wurde schwach vor Erleichterung, und ich dankte Gott überschwenglich. Vorübergehend war mein üblicher Zorn auf Seine Werke vergessen.
Verwirrt stieg ich aus dem Bett, ging ins Bad, schloß die Tür und machte Licht. Ich betrachtete zuerst jene Hand, mit der ich meine Lippen berührt hatte, und das Blut war immer noch an meinen Fingern. Dann schaute ich in den Spiegel und sah das Blut auf meinem Kinn. Es glänzte auch auf meinen Lippen, und selbst meine Zähne waren blutig.
Ich wusch mir Hände und Gesicht, spülte meinen Mund aus, fand im Badschrank ein Mundwasser und konnte damit endlich den Kupfergeschmack loswerden. Ich vermutete, daß ich mir im Schlaf auf die Zunge gebissen hatte, aber das Mundwasser brannte nicht, und trotz sorgfältiger Untersuchung konnte ich an meiner Zunge keine Wunde feststellen.
Irgendwie mußte das Blut aus meinem Traum sich materialisiert und mich in die reale Welt der Lebenden begleitet haben. Was selbstverständlich völlig unmöglich war.
Ich betrachtete meine Zwielicht-Augen im Spiegel.
»Was
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