Zwielicht
Eigentlich hasste Shakaar die Politik. Ginge es nach ihm, würde er längst das stille, überschaubare Leben eines Bauern in seiner Heimat, der Dah-kur-Provinz führen. Das Joch des Anführers war ihm während der instabilen Tage nach dem Tod des vorherigen Premierministers auf-gedrängt worden, und Asarem vermutete, dass er es nur aus einem Pflichtgefühl gegenüber dem bajoranischen Volk angenommen hatte. Vielleicht war er es nun einfach leid, sein Leben anderen zu widmen.
»Enkar, was ist hier los?«, fragte sie und stemmte die Hände gegen die Hüfte. »Gibt es etwas, das ich wissen sollte?« Aus der Ferne hallten die Klänge eines Springballspiels durch den Gang – das Ge-räusch eines gegen Wände und Schläger prallenden Balles, das Läuten der Spielstandanzeige.
»Nein, Ministerin Asarem«, antwortete Enkar. »Der Premierminister hängt heute schlicht im Zeitplan hinterher.«
Asarem wollte ihr glauben. Ihre politischen Gegner beschrieben sie oft als Hardliner, stur und hartnäckig – eine Formulierung, die an-zufechten sie keinen Grund sah –, und obwohl sie in Bezug auf diverse politische Themen unterschiedlicher Meinung mit Shakaar war, respektierte sie ihn. Man musste seinen Einsatz für Bajor einfach bewundern.
Shakaar zeigte niemandem, wie sehr ihm sein Posten missfiel. Er trug seine Last still, verbarg sie vor den Blicken anderer. Seit seiner Amtseinführung diente Asarem als Vizepremierministerin, und auch wenn sie in den ersten Jahren mehrfach aneinandergeraten waren, hatten sie längst eine starke und fruchtbare berufliche Beziehung zueinander aufgebaut. Er hatte sich nie über seine Stellung be-klagt, doch manchmal, wenn die Umstände schlimm und der Handlungsbedarf am größten gewesen waren, hatte sie die Risse in der Fassade bemerkt, hinter der er sich verbarg.
Trotzdem bezweifelte sie nicht, dass er nach dem bevorstehenden Ende seiner sechsjährigen Amtszeit im kommenden Jahr erneut kan-didieren würde. Es entsprach einfach seinem Pflichtgefühl, seiner Liebe zu Bajor. Politisch stimmte Asarem nicht in allen Dingen mit ihm überein, aber sie wusste, dass er ihre Unterstützung immer sicher hatte. Shakaar war ein energischer, direkter Mann, pflichtbewusst und praktisch denkend, offen für die Ansichten anderer. Er hatte viel dafür getan, Bajor aus dem schmerzhaften Nachhall der Besatzung in eine neue, vielversprechende Zukunft zu führen.
Nein , entschied sie. Shakaar gibt nicht auf. Er ist nur spät dran. Sie lä-
chelte über Enkar und sich selbst. Der Premierminister mochte seinen Posten nicht schätzen, sie aber liebte den ihren. Sie hatte ein Talent dafür, die politischen Machtspielchen der anderen aufzudecken, doch manchmal ertappte sie sich dabei, gegen Windmühlen zu ziehen. Wie auch jetzt.
»In Ordnung«, sagte sie. Ihre Körperhaltung – Hände an der Hüf-te, wie eine Mutter vor ihrem törichten Kind – kam ihr mit einem Mal überheblich vor, also ließ sie die Arme sinken. »Ich schaue in meinen Terminkalender und melde mich wegen eines neuen Treffens.«
»Danke, Ministerin.«
Die junge Frau wollte schon gehen, als Asarem sie zurückhielt.
»Einen Moment noch, Enkar.« Sie trat neben die Tür, nahm Helm und Schläger aus dem Schrank, schloss ihn – wobei die Scharniere abermals quietschten – und verließ den Raum.
Enkar trat zur Seite, um sie passieren zu lassen. Gemeinsam schlenderten sie den Gang hinab.
»Hat der Premierminister heute Morgen weitere Verpflichtungen?«, fragte Asarem, die ihr Treffen nicht unnötig weit aufschieben wollte.
»Äh, diesen Morgen nicht«, antwortete Enkar und sah zur Decke, als stünde dort Shakaars Terminplan. »Am Nachmittag stehen zwei Besprechungen an.« Ihre Absätze klackerten auf den Steinplatten.
Asarems Gummisohlen verursachten nahezu kein Geräusch. »Ich weiß allerdings, dass der Premierminister heute Vormittag einige andere Aufgaben erledigen will.«
»Wie steht’s zur vollen Stunde?«, hakte Asarem nach. »Nach dem Ende unseres geplanten Matchs. Hat er dann Zeit?«
»Ich bin mir nicht sicher«, meinte Enkar. »Da müsste ich Rückspra-che mit ihm halten.«
Sie hatten das Ende des Korridors erreicht. Asarem blieb neben der Tür zur Umkleide stehen. »Tun Sie das«, sagte sie. »Ich bin in einer Dreiviertelstunde vor seinem Büro und hoffe, zu ihm vorgelas-sen zu werden.«
»Ja, Ministerin.«
»Danke, Enkar«, sagte Asarem und verschwand im Umkleidebe-reich.
Asarem erreichte das Büro des Premierministers in
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