Zwielicht
»Außerdem wollte ich dir sagen, dass Jake ebenfalls wiederkommt.«
»Was?« Die Aussage schockierte sie zu sehr, als dass sie Freude empfinden konnte. Schnell – zu schnell – stellte sie ihre Tasse ab.
Tee schwappte über ihre Finger, doch sie ignorierte ihn. »Nog, was meinst du?«
»Dass ich weiß, dass es ihm gut geht«, antwortete er zuversichtlich. »Dass er lebt und nicht verletzt ist, oder so.«
» Woher weißt du das?«
»Das wiederum weiß ich nicht«, gestand er. »Ich … weiß es einfach.«
»Also weißt du es nicht .« Kas bemühte sich, ihren Ärger für sich zu behalten. Sie hob die Hand zum Mund und leckte sich den Tee von den Fingern. »Du glaubst bloß, es gehe ihm gut.«
»Pass auf.« Nog beugte sich vor. »Immer wieder heißt es, Jake sei vermisst oder in Schwierigkeiten, weil er die Station nie verlassen würde, ohne uns sein Ziel zu nennen, richtig?«
»Er hat es uns genannt«, stimmte Kasidy zu. »Er wollte seinen Großvater auf der Erde besuchen.«
»Genau. Ich bezweifle aber, dass er das wirklich vorhatte.«
»Warum? Hat Jake dir etwas gesagt?«
»Nein, nein«, wehrte er ab. »Sonst hätte ich dir Bescheid gegeben –
und allen anderen. Vor seinem Aufbruch war mir bloß, als hätte er es gar nicht auf die Erde abgesehen.«
»Dir … war so?«, wiederholte sie. »Woher stammte dieser Eindruck?«
»Ich erinnere mich nicht genau«, gab er zu. »Es war so ein Gefühl.
Als ich und Jake das letzte Mal miteinander sprachen, schien es mir, als wolle er nicht zur Erde und gebe sich alle Mühe, mich das nicht merken zu lassen.«
»Und weshalb sollte er das vor dir geheim halten?«, fragte sie ihn so sehr wie sich selbst. »Weshalb vor mir?«
»Keine Ahnung«, antwortete Nog. »Du kennst Jake. Hätte er be-fürchtet, unter Umständen nicht wiederzukommen, hätte er sich verabschiedet.«
Zögernd stimmte Kasidy zu. Sie blickte zum Fenster, weg von Nog, als könne es ihr dabei helfen, seine Vermutungen mit Substanz zu füllen.
»Ich weiß nicht, warum Jake nicht wollte, dass wir sein wahres Ziel kennen«, fuhr er fort. »Aber er ist klug und stark …«
»Wie sein Vater«, sagte sie, ohne nachzudenken.
»Ganz genau. Ich sag’s dir: Er kommt wieder. Ich weiß es.«
Natürlich war das lachhaft. Nog hatte keinerlei Beweise, sondern nur eine Vermutung, der zufolge Jake gar nicht zur Erde gereist war. Selbst wenn sie sich als zutreffend herausstellte, änderte das nichts daran, dass Jake seit zwei Monaten nirgends gesehen worden war.
Dennoch … Nogs Zuversicht gab ihr Halt, so unfundiert sie auch sein mochte. Sie gab ihr Trost und sogar neue Hoffnung.
»Jake mag dich«, sagte er. »Wirklich. Klar liebt er dich, aber er mag dich auch. Er findet dich klasse. Glaub mir: Er wäre nie gegangen, ohne sich zu verabschieden.«
Die Worte berührten sie sehr, und Kasidy nickte zustimmend.
Fundiert oder nicht, Nogs Optimismus erfüllte sie mit einer Stärke, die ihr schon seit Tagen fehlte, und sie versprach sich selbst, so lange wie möglich an ihr festzuhalten.
Eine Weile lang saßen sie einfach da, dann drangen sanfte Ge-räusche vom Fenster an ihr Ohr. Als Kasidy aufblickte, hatten sich bereits kleine, farblose Tropfen auf der Scheibe gesammelt. »Es regnet«, bemerkte sie.
Nog nickte. »Es choritzt .«
»Was?« Das Wort war ihr unbekannt.
» Choritzt «, wiederholte er. »Wir Ferengi haben einhundert-achtundsiebzig Verben der Regenbeschreibung. Momentan choritzt es.«
»Oh, okay.« Schweigend sahen sie zu, wie einige Tropfen schwer genug wurden, um von der Schwerkraft hinabgezogen zu werden.
»Ich mag den Regen«, sagte Kasidy schließlich.
»Ich auch«, gestand er. »Erinnert mich an daheim, an Ferenginar.«
Als Kasidy zu ihm blickte, grinste er breit. »Sag mal, wie soll dein Kind eigentlich heißen?«
Kasidy erwiderte das Lächeln. Die Frage stellte er regelmäßig, und ihr kleiner Standardscherz verlangte von ihr, immer eine andere Antwort zu geben. »Wenn es ein Mädchen wird, Octavia Lynn.«
»Okay. Vielleicht einen Tick zu menschlich, aber okay.« Er nickte, spielte mit. »Und falls Jake einen Bruder bekommt?«
»Halbbruder«, berichtigte sie ihn.
»Wie kann man einen halben Bruder haben?«, fragte Nog.
»Ben ist Jakes Vater«, erklärte sie, »und der des Babys …«
»Eben. Also sind sie Brüder.«
»Aber sie werden verschiedene Mütter haben«, fuhr sie fort. »Deshalb sind sie Halbbrüder.«
»Wie kann man einen halben Bruder haben?«, wiederholte Nog,
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