Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwielicht über Westerland

Zwielicht über Westerland

Titel: Zwielicht über Westerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lindwegen
Vom Netzwerk:
durch den Türspion sah.
    Draußen stand Alex in sauberem Hemd und mit ebensolcher Hose. Seine Miene schien entschlossen, als er auf ihre Tür zulief. Er war gekommen, um sie zu holen, schoss es ihr durch den Kopf. In diesem Moment erklang aus der Wohnung über ihnen die Celloversion einer Rockballade und stoppte Alex. Langsam ging er zurück zum Geländer und lehnte sich dagegen. Sie lauschten, jeder auf seiner Seite der Tür, bis zum Ende des Liedes, dann klopfte er.
    Sophie zögerte, aber sie wusste, sie konnte sich nicht gegen die Gemeinschaft auflehnen, die sie trug. Es hatte keinen Sinn. Sie konnte nur eines tun, sich fügen und Alex, so gut es ging, aus ihrem Leben ausgrenzen. Es sah so aus, als wenn er zwar entschlossen, aber nicht mehr aggressiv war. War ihr Neuanfang, ihr neues Leben auf Sylt wirklich nach ein paar Tagen vorbei? Innerlich versuchte sie sich auf eine überstürzte Abreise und eine entsprechende Verwarnung von Alex vorzubereiten.
    Mit zittrigen Händen öffnete sie ihm die Tür.
    „Bitte, bitte verzeih mir“, flüsterte er zärtlich.

3. Kapitel
Zu Hause in Keitum
    „Kinder, vertragt Euch!“, mahnte die Mutter und unterbrach kurz ihre Stopfarbeiten an den Socken, um einen warnenden Blick in Richtung ihrer Kinder zu werfen.
    Vater Johannson paffte einen schönen weißen Rauchring in Richtung Zimmerdecke, woraufhin der kleine Johann Sönke versuchte, seinen Arm hindurch zu stecken.
    „Ihr beide müsst euch gut vertragen. Von allen Menschen, die euch in eurem Leben begegnen werden, müsst ihr es am längsten miteinander aushalten. Und ihr wollt doch gut miteinander sein, oder?“, fragte er mit seiner brummigen Feierabendstimme.
    Die kleine Sophie nickte eifrig, während ihr Bruder das Gesicht verzog, als wenn er darüber noch einmal gründlich nachdenken müsse. Die Familie lachte herzhaft über diese Grimasse.
    Mitten im Gelächter war plötzlich ein anderes Geräusch zu hören. Ein Sog, ein Pfeifen oder Heulen, dann ein Knall und Sophie erwachte. Ihre Wohnungstür war zugefallen und sie wusste warum. Alexander war gegangen. Langsam setzte sie sich auf und spürte in ihren Gliedern noch die Spannungen vom Vortag.
    Auf dem Sofa, wo er die Nacht verbracht hatte, lag ein kleiner Zettel mit: Danke, lieben Gruß Alexander.
    Mehr stand nicht darauf, mehr gab es aber auch nicht zu sagen.
    Sie hatten sich wieder versöhnt, lange vernünftig über alles gesprochen. Wenn sie jedoch ehrlich sein sollte, war jetzt ein tiefer Knacks in ihrem Innern. Sie hoffte, dass der Knacks nur in ihr und nicht in ihrer Freundschaft sein würde und dass die Zeit dies heilenwürde. Jedoch für den Augenblick war sie einfach nur froh, dass er weg war.
    Als sie aus der Balkontür schaute, war er bereits in das Taxi gestiegen.
    An der Mattheit und der gleichzeitigen Unruhe merkte sie, dass es bald wieder so weit sein würde. Zum Glück hatte sie heute ihren ersten Arbeitstag, bzw. ihre erste Nachtschicht. Vielleicht würde sich eine Chance ergeben. Sie hatte den Beruf aus zwei Gründen gewählt: Einerseits, um etwas Sinnvolles zu tun, zu helfen, andererseits, sie musste gestehen, um an Blut zu kommen.
    Unschlüssig darüber, was sie mit dem Nachmittag anfangen sollte, kuschelte sie sich erneut in ihr Bett. Schon lange hatte sie nicht mehr von ihren Eltern geträumt. Es war schön mit ihnen zu lachen. Auch neunzig Jahre nach ihrem Tod fühlte sich Sophie manchmal noch wie eine Waise. Und die Chance selber eine kleine Familie zu gründen, gingen gleich Null. Was ihre Eltern wohl dazu gesagt hätten?
    Zumindest hätten sie sich nicht über die geschwisterliche Beziehung beklagen können. Sie war besser und vor allem länger als je gedacht. Jan fehlte ihr.
    Mit Schwung flog die Bettdecke bis an das Fußende des Bettes. Es hatte keinen Sinn, diesen schönen wolkenverhangenen Tag im Bett zu verbringen und über Vergangenes und Unerreichbares nachzudenken. Sie würde sich das ausgemusterte, klapprige Rad, das sie von Fahrradverleih gekauft hatte, schnappen und nach Keitum fahren.
    Der graue aber trockene Himmel trieb die Urlauber vom Strand auf die Radwege. Nie hätte sie gedacht, dass so viele Menschen auf dem Rad unterwegs waren. Sophie musste mehr auf Radfahrer achten als auf Autos.
    Das lenkte sie jedoch wenig ab, denn je dichter sie an ihr Heimatdorf Keitum kam, umso schwerer wurden ihre Beine. Meistens kam ihr das frühere Leben wie ein Kinofilm vor, den sie irgendwann gesehenhatte. Flüchtige Bilder einer armen, aber

Weitere Kostenlose Bücher