Zwielicht über Westerland
und die Musik leiser stellen. Dann schloss sie die Wohnungstür. Mit einem geschulten Blick stellte sie fest, dass Kevin, der Bäcker, ziemlich gepflegt zu sein schien. Das erleichterte die Sache ungemein.
Minuten später saß Sophie wieder in ihrem Wohnzimmer, alles war still im Haus. Still genug um zu Meditieren, aber das war nun nicht mehr nötig.
Voller Energie, mit einem guten Gefühl im Bauch, fuhr sie pfeifend zur Klinik. Eigentlich hatte sie genug, worüber sie nachdenken konnte, aber ihre Gedanken flogen immer wieder zu dem Besitzer der wunderbaren Stimme am Grundstück ihrer Eltern. Als sie sich selbst dabei erwischte, wie sie sich fragte, ob seine Haare sich wohl kringeln würden, wenn sie im nordfriesischen Nebel feucht wurden, schüttelte sie entrüstet den Kopf. Wie alt war sie eigentlich? Tagträumereien über Männer waren sonst nicht ihre Art.
Die Dame an der Rezeption hieß Anja Petersen und war Mitte vierzig. Sie sah müde, aber freundlich aus. Sofort nahm sie sich ihrer an und führte sie in die Technik der Kameraanlage und der Arztpieper ein. Sophie kannte das, ließ sich aber alles geduldig erklären.
Minuten später tauchte Nachtschwester Roswita auf. Sie hatte das rundeste und lustigste Gesicht, das Sophie je gesehen hatte. Ihre wuchtige Körpermasse schaukelte bei jedem Schritt hin und her. Sie sprach laut und lachte noch viel lauter. Sophie fühlte sich vom ersten Augenblick an wohl in der Kurklinik.
Nachdem sie Anja verabschiedet hatten, packte Roswita Sophie an den Schultern und macht eine ernste Miene.
„Bist du bereit, die wichtigsten Personen im ganzen Haus kennen zu lernen?“, fragte sie mit ihrer Bassstimme.
Sophie nickte. Meist waren die Ober- und Chefärzte um diese Zeit nicht mehr in der Klinik, aber je schneller sie alle kennen lernte, desto besser.
Roswita schaukelte durch den mit Kinderbildern und Strandkörben dekorierten Gang. So sahen eher die gesellschaftlichen Gänge aus, wunderte sich Sophie, nicht die in der medizinischen Abteilung. Dann wurde es ihr klar.
„Stopp mal, Roswita, an Bord ist der wichtigste Kerl der Koch. Gehst du mit mir in die Küche?“
Roswita blieb stehen und lachte so laut, dass es von den Wänden widerhallte.
„Nicht doof die Kleine, nicht doof.“ Mit Schwung stieß sie die Tür zur Küche auf.
In der großen, hellen Küche war es blitzblank. Nicht ein Topf stand herum. Lediglich die Pinnwand bot den einzig farbigen Klecks in dem monotonen Weiß und Edelstahlglanz.
„Das ist Vanessa, die Eiskönigin in ihrem Palast. Sie ist die alleinige Herrscherin hier. Stell dich mit ihr gut, sonst hat du verloren“, lachte die runde Nachtschwester über sich selbst.
Vanessa blickte aus großen blauen Augen unter ihrer weißblonden Ponyfrisur hervor, die ihre helle Haut noch blasser machte. Sie trug bereits eine Jeansjacke. Anscheinend war sie im Begriff zu gehen.
Sie war noch sehr jung für eine Küchenchefin, aber dafür recht günstig, schätzte Sophie.
„Wenn ihr so nett wärt, dem Chef das Abendbrot zu bringen, dann kann ich los“, bat sie mit einem charmanten Lächeln. Sicherlich hatte sie noch etwas Lustigeres vor an diesem Sommerabend.
Beide Nachtschwestern nickten verständnisvoll und Vanessa flog förmlich aus der Küche.
„Essen für`n Chef um 19:30 Uhr“, brummte Roswita. Dann begingen sie das ganze Haus mit seinen vier Etagen und Abteilungen, das Untergeschoss mit seinen Bäder- und Heilabteilungen, sowie den Gymnastikraum.
„Du kannst dich mit dem Tresen vertraut machen“, kicherte Roswita. Sie meinte natürlich die Technik der Rezeption.
„Ich hab ein Date mit Zimmer 205, wenn du mich suchen solltest.“ Sophie nickte und war froh, einen Augenblick Ruhe zu haben. Auf dem Gebäudeplan prägte sie sich alle Notausgänge und die Lage der einzelnen Abteilungen ein. Dann nahm sie sich die Namensliste der Ärzte mit ihren Funktionen vor.
Einige Patienten holten ihre Zimmerschlüssel bei ihr ab, ein nervöser Ehemann rief an, weil er die Telefonnummer seiner Frau verlegt hatte. Sophie stellt den erleichterten Mann direkt auf das Zimmer durch, ansonsten war alles ruhig.
Völlig in den Hausprospekt vertieft, erschrak sie durch ein leises Klopfen auf die Granitplatte. Ein schiefes Lächeln unter zwei grünen Augen ließ sie nochmals erschrecken.
„Hallo Baumschubserin. Ich stehe hier schon eine ganze Weile und betrachte Sie, Schwester Sophie.“
„Oh, nein, er hat grüne Augen“, schoss es ihr durch den Kopf, „und
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