Zwielicht über Westerland
mehr gehört, dafür aber einen langen Anruf von Jan erhalten und ein kurzes Telefonat mit Alex abgehakt. Ihre Haut hatte sich bereits am Tag nach der Radtour regeneriert. Das Herzrasen war in der Nacht abgeebbt. Die Entdeckung, dass Vanessa zu ihresgleichen gehörte, hatte sie Alex vorerst verschwiegen. Warum, wusste sie selber nicht. Vielleicht wollte sie erst mit ihr persönlich sprechen, vielleicht war das aber auch ein Riesenfehler.
Hier in der Klinik konnte sie wenigstens etwas Sinnvolles tun, aber das Beste war: hier konnte sie Matt begegnen.
Es war bereits kurz nach Mitternacht, als es leise an der Schiebetür klopfte. Draußen stand Gregor; die Hände bis zum Anschlag in den Taschen stand er da mit hochgezogenen Schultern und schien zu frieren. Jetzt im September waren die Nächte im Gegensatz zu den Tagen schon sehr kalt. Sophie öffnete ihm die Seitentür, denn die Schiebetür machte zu viel Lärm.
Er zog eine Hand aus der Tasche und führte zwei Finger zum Hals. Sie tat es ihm gleich.
„Gregor, ich kann dich nicht hoch lassen. Ich brauch den Job“, flüsterte sie beschwörend auf ihn ein.
„Von da komm ich gerade. Ich wollte mich nur bei dir bedanken, dass du uns nicht verpetzt, bei der Ärztin. Die hat mich seit letzterWoche voll auf dem Kieker.“ Er lachte in Richtung seiner Turnschuhe.
Besorgt sah Sophie ihn an.
„Du hast Anna doch nicht, du weißt schon.“
Er grinste und pustete sich eine lange Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Kommt drauf an, was du meinst. Gebissen hab ich sie jedenfalls nicht.“
Dann verschwand das Lachen schlagartig aus seinem Gesicht.
„Ich bin doch kein Idiot. Sie ist auch so schon schwach genug.“
„Hmm“, mehr wusste Sophie nicht darauf zu sagen. Warum hatte sie so blöde gefragt? Peinlich. Sie ärgerte sich über sich selber und heftete ihren Blick auf das Bild von Anna.
„Na, Alex würde so was nicht für dich malen, oder?“, fragte er mit einem kaum merklichen Unterton.
„Ich weiß nicht, was du meinst. Erstens kann er gar nicht malen und zweitens sind wir nur Freunde.“ Sie wendete ihren Blick von Anna auf ihn.
„Du hast doch Samstag den ersten freien Abend, oder?“, fragte er schnell in ihre funkelnden Augen.
Sie befand, dass sie nun quitt waren und nickte. Die Chance, mehr über Vanessa und die rätselhaften Vorgänge in der Klinik zu erfahren, ergab sich sicher nicht so schnell wieder.
„Pass auf, dann holen meine Schwester und ich dich um 20 Uhr bei dir ab. Olli gibt ’ne Geburtstagsparty. Du musst unbedingt alle kennen lernen. Gibt noch ’ne Überraschung.“
Auffordern sah er sie an. Da kam ihr eine Idee.
„Ist Vanessa auch da?“, fragte sie wie nebenbei.
„Klar ist sie das.“ Er holte tief Luft. „Los komm, sag ja.“ Er lächelte sein bravstes Lächeln.
„Gut, ich komme.“
„Freut mich.“ Er entfernte sich rückwärts laufend von ihr und mit einem schalkhaften Grinsen grüßte er noch einmal den Halsgruß.Dann hatte die Dunkelheit ihn verschluckt und nicht einmal seine Schritte waren mehr zu hören.
Sophie stand da und schaute in die Dunkelheit. Wie friedlich nachts alles war. Weit entfernt hörte sie eine Möwe kreischen und wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich einbilden, das Meer zu hören. Mit geschlossenen Augen war alles wie in ihrer Kindheit. Die Luft, die Stille und ihre Geräusche, nur Jan fehlte.
Der Rest der Nacht verlief vollkommen ruhig. Matt hatte sie leider nicht getroffen.
Als sie morgens auf dem Wege nach Hause war, dachte sie an Samstag und was sie wohl erwartete. Sie musste versuchen, mit Vanessa allein zu sprechen. Hoffentlich ergab sich eine Gelegenheit. Ohne sich groß umzuschauen und sich nur auf ihr Gehör und das Glück verlassend, fuhr sie über die Kreuzung.
Wie von selbst ging ihr Blick hinüber zu dem wackeligen Stehtisch vor dem Bäckerladen. Dort stand niemand.
Eine abgehetzte Stimme mit amerikanischem Akzent tauchte plötzlich auf dem Rad neben ihr auf und fragte: „Mit viel Milch und einem Marmeladenbrötchen?“
„Klar, super“, antwortete sie schnell, und als sie merkte, dass ihre Stimme sich mindestens anderthalb Oktaven höher anhörte als normal, fügte sie noch ein tieferes „Hallo Matt!“ hinzu.
Drei Minuten später standen sie sich gegenüber am Stehtisch und versuchten diesen so wenig wie möglich zu berühren, da sonst der Kaffee übergeschwappt wäre.
Er arbeitete jetzt umschichtig mit seinem Onkel, erzählte er. Die Zeit lief ihnen davon. Ihr Projekt
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