Zwielicht über Westerland
bringen“, flüsterte sie jetzt und legte zart eine Hand auf seinen Arm. Er schaute sie über den Rand seiner Brille hin an.
„Das ist nett, dass Sie das sagen, aber ich denke, ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich behaupte, das Unglück nahm seinen Anfang mit dem Brand.“
„Was meinen...“ Verdutzt starrte sie ihn an.
„Chef, Telefon!“, rief ihnen ein junger Mann in Kochkluft zu. Mit eiligen Schritten kam er auf sie zu und reichte Herrn Wunk das Handgerät. Dieser stand auf und ging ins Lokal zurück. Der junge Koch nahm Sophies leeres Glas vom Tisch und fragte höflich, ob sie noch etwas wünsche.
Er war dunkelblond, hatte eine sportliche, fast noch kindliche Figur. Aber in seinen Bewegungen lag irgendwie Schwung, Energie. Mit schnellen geübten Handgriffen räumte er einen der Nachbartische ab.
Sophie beobachtete ihn und fragte sich, an wen er sie erinnerte.
„Ist das nicht ein echtes Kunstwerk?“ versuchte sie mit ihm ins Gespräch zu kommen und deutete auf den Kraken.
Ein Leuchten ging sind seinem Gesicht auf. Er stellte das Tablett auf ihrem Tisch ab.
„Findest du?“ fragte er und wartete ihre Antwort gar nicht erst ab.
„Es hat wahnsinnig lange gedauert und ich hatte die ganze Zeit Angst, es würde zu regnen anfangen, bevor ich fertig werde.“
Überrascht darüber, wie jungenhaft sich seine erregte Stimme anhörte, und darüber, dass er diese Zeichnung angefertigt hatte, stieß sie einen anerkennenden Pfiff aus.
Er verbeugte sich so, dass sein halblanger Schopf nach vorne flog. Dann grüßte er mit dem Clangruß und ging.
Sophie ließ sich auf ihrem Stuhl nach hinten fallen. Der Besuch hier verlief irgendwie anders als gedacht. Fast hatte sie das Gefühl, in eine Inszenierung geplatzt zu sein. Hier wusste jeder, wer sie war und was sie wollte, nur sie selber musste sich blöde Handlungslistenanlegen, um sich in ihrem eigenen Leben zurechtzufinden. Plötzlich kam sie sich kindisch vor. Hatte sie geglaubt, sie würde hier unbehelligt Rätseln auf den Grund gehen können? Die Gemeinschaft hielt alle Fäden in der Hand. Sie gaben Leben und sie bestimmten es. Noch bevor sie sich weitere Gedanken machen konnte, hörte sie eine Fahrradklingel die Stille durchbrechen. Eilig sprang sie auf und schaute durch die Strandkörbe Richtung Parkplatz. Dort unten stand Matt und schaute zu ihr hinauf.
„Ich bin noch hier“, winkte sie ihm zu.
Herr Wunk hatte sein Telefonat anscheinend beendet und kam, um sie zu verabschieden.
„Wissen Sie, was ein Beißring ist?“, fragte er sie auf dem Weg zu ihrem Fahrrad.
„Ich glaube schon“, antwortete sie unsicher. „So ein Ring für Babys, oder?“
Schmunzelnd sprach er weiter. „Sie haben gerade eines der Mitglieder des Beißringes kennengelernt. Das war mein Koch, Gregor. Übrigens auch einer von einem der seltenen Geschwisterpaare unter uns. Wir haben hier auf der Insel nicht viele unseresgleichen, ich bin mit Abstand der Älteste. Die anderen sind fast noch Kinder. Eine echte Schande, einer ist tatsächlich noch minderjährig. Aber hier sind sie wenigstens nicht einsam. Das war übrigens Alexanders Idee. Den Namen Beißring hat er der Gruppe gegeben, weil sie alle noch so jung sind. Sie sollten sie einmal kennen lernen, Sie selbst sind doch auch kaum älter als die Bande. So ein Freundeskreis würde Ihnen sicherlich gut tun. Ich werde mit Gregor sprechen.“
Er klopfte ihr kameradschaftlich auf die Schulter und ging zurück zum Lokal.
Hatte sie zuvor das Gefühl gehabt, ihn auf ihrer Seite zu wissen, war es nun einfach nur lächerlich, wie er sie zu den Jugendlichen steckte.
Irgendetwas hatte ihn verändert, gedreht. Er war freundlich wie zuvor, aber er gab ihr auch zu verstehen, dass er sein Möglichstes getan hatte.
Ein wenig enttäuscht schob sie ihr Fahrrad über den Parkplatz. Das Gespräch hatte so gut begonnen. Warum hatte er erst von einem großen Unglück und dann nur noch von einem gut tuenden Freundeskreis gesprochen? Hing es mit dem Telefonat zusammen? Es würde sie nicht wundern, seufzte sie in sich hinein, wenn Alex am anderen Ende der Leitung gewesen war.
„Ist alles in Ordnung, Sophie?“ Matt schaute sie durchdringend an. „Nein, nein, äh, doch, alles klar. Nur die Sonne macht mir etwas zu schaffen“. Das war auch nicht gelogen, aber nur die halbe Wahrheit. „Es ist nicht schlau von uns, in der Mittagssonne zurückzufahren. Und das bei unseren Jobs. Hoffentlich sieht uns keiner.“
Sie lachten und fuhren langsam
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