Zwielicht über Westerland
war größer und schwieriger geworden, als sie gedacht hatten. Allerdings waren sie auch viel weiter gekommen als sie je gehofft hatten. Sie mussten noch einige wichtige Vorbereitungen treffen, bevor sie die Ergebnisse seinen amerikanischen Kollegen vorlegen konnten. Sie brauchten dringend mehr Zeit und auch Geld dafür. Sie hörte interessiert zu, aber dieeigentlich wichtige Information war für sie, dass er wieder nach Hause ging.
Denn zwischen den Zeilen hörte Sophie nur Abschied. Sie traute sich allerdings nicht zu fragen, weil er anscheinend ganz andere Sorgen hatte. So schluckte sie einmal und wünschte ihm noch viel Erfolg.
Statt einer Antwort sah er ihr in die Augen. Hatte er etwas bemerkt? Sie hatte versucht, keinen traurigen Eindruck zu machen.
„Du hast doch Samstag den ersten freien Abend, oder?“, fragte er plötzlich. Er lächelte liebevoll in ihr überraschtes Gesicht.
„Wenn du dann magst, würde ich gerne für dich kochen.“
Sie hätte die ganze Welt umarmen können. Er hatte sie hier abgefangen, er kannte ihren Dienstplan, das hieß ja wohl, sie war ihm nicht gleichgültig. Kochen, das war klasse. Doch an seiner Fragestellung war ihr gleich etwas bekannt vorgekommen.
Verdammt - Gregor. Bitte, warum beides am gleichen Abend?
„Es tut mir so leid, aber ich bin zu einem Geburtstag eingeladen. Können wir es verschieben?“
Sein Blick verriet ihn. Er war unsicher, ob sie ablehnen oder wirklich verschieben wollte.
„Matt, bitte, ich komme jeden anderen Tag. Du brauchst auch nicht kochen, …oder nur Kaffee, …ich komme“, beteuerte sie.
Jetzt lachte er.
„Gut fangen wir den Sonntag mit Kaffee und Brötchen an. Du weißt noch, wo ich wohne? 10 Uhr?“
„Ich bin da.“
„Und wehe, ich muss wieder über meine Arbeit sprechen!“, rief er ihr auf dem Radweg hinterher.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Tatsächlich, sie musste jetzt entweder einen Lebenslauf schreiben und auswendig lernen oder ihm die Wahrheit sagen, was wohl eher nicht in Frage kam. Wie sollte er sie kennen lernen, wenn sie nichts von sich erzählte?
Den Rest der Woche verbrachte Sophie damit, von Matt zu träumen und über Vanessa nachzugrübeln. Die Nächte waren ruhig genug dafür.
Wenn sie zur Schicht kam, saßen Gregor und Anna artig in der Halle und spielten Karten oder Brettspiele. Manchmal hockten sie aber auch nur auf dem Zweisitzersofa und hörten dicht aneinander gekuschelt Musik aus Annas MP3-Player. Brav verabschiedeten sich die beiden gegen 22 Uhr voneinander, nur um sich anschließend in Annas Zimmer zu treffen. Sophie sah weg und gönnte es ihnen von Herzen.
Am Samstag nach Dienstschluss fiel ihr ein, dass sie vielleicht gar nichts Passendes für eine Party anzuziehen hatte. Sie wusste weder, wer kommen würde, noch was man so trug, oder wo es überhaupt stattfand. Nachdem sie kurz überlegt hatte, in die Stadt zu fahren, entschied sie sich für Jeans, ein besseres Shirt und eine wetterfeste Jacke. Man konnte nie wissen.
Wieder musste sie an ihre Mutter denken, die schon Anfang des Jahrhunderts den Rat gab: „Eine kluge Frau geht nie ohne eigenes Geld und eigenen Türschlüssel aus dem Haus.“ Gerne hätte sie sie gefragt, wie sie zu dieser Erleuchtung gekommen war.
Sie waren pünktlich. Der kleine knallrote Kleinwagen hielt auf dem Parkplatz hinter dem Haus. Sophie winkte vom Balkon hinunter zu Gregor, der am Steuer saß. Weiter konnte sie leider nicht in den Wagen schauen, es war zu dunkel.
Eilig lief sie die Treppen hinunter und über den Parkplatz. Sie war kaum eingestiegen, da fuhr Gregor los. Neben ihm saß eine Person mit schwarzem Parka und pinkfarbener Wollmütze. Die mutmaßliche Schwester begrüßte sie nicht. Niemand sprach, als sie die Landstraße Richtung Tinnum entlang brausten.
Sophie war irgendwie mulmig zumute.
„Hallo, du bist also Gregors Schwester. Ich bin Sophie“, versuchte sie das Schweigen zu brechen.
Die Beifahrerin regte sich nur sehr langsam. Sie führte eine Hand an ihre Mütze und drehte sich um.
„Ich weiß, wer du bist, Sophie. Und ja, ich bin Gregors Schwester.“ Selbst im Dunkeln des Wagens konnte Sophie sie erkennen, nachdem sie die Mütze abgenommen hatte.
Es war Vanessa.
Ihr Herz raste und ihr Verstand versuchte im gleichen Tempo mitzuhalten. War sie in Gefahr? Wie kam sie aus dieser Lage wieder heraus? Gab es die Party wirklich?
Zu allem Ärger fuhr Gregor jetzt viel zu schnell von der Hauptstraße ab. Sie wurden alle auf die rechte Seite
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