Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
sie. »Einer Ihrer Probanden hat einen Schattenmann erwähnt, ein Individuum, über das ich gern mehr erfahren würde.«
Panik wallte in ihr hoch, und sie bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Der Schattenmann. Ihr Vater. Der dunkle und wunderschöne Mann, dem sie nur einmal, mit fünfzehn Jahren, direkt nach dem Autounfall, begegnet war. Die Nahtoderfahrung, der Auslöser für ihre Arbeit. Ihr Vater, das Rätsel ihres Lebens, war gekommen, um sie auf ihrer Reise zu begrüßen. Sie hatte seine schräg stehenden Augen gesehen und mit erschreckender Sicherheit gewusst, dass sie ihm glich, was immer er auch war. Es spielte keine Rolle, solange sie mit ihrer Andersartigkeit nicht mehr allein war. Als die Sanitäter sie zurück ins Leben geholt hatten, waren sie voneinander losgerissen worden.
Sie hätte ihren Vater jetzt gern einiges gefragt. Er wüsste, wieso die Geister sie verfolgten. Er könnte ihr erklären, warum sie seltsame Fähigkeiten besaß, über die niemand anders verfügte. Und er könnte sie vor dem Teufel beschützen, der aus ihrem Schrei erwuchs.
Nichts von alledem würde sie Adam gegenüber erwähnen. Sie schuldete ihm Dank, aber nicht sich selbst. Adams Äußerungen über ihre Dissertation und Nahtoderfahrungen waren nichts als Gerede. Wenn Adam über den Schattenmann forschen wollte, der nicht von dieser Welt stammte, konnte er das nur tun, indem er sie untersuchte. Sie würde hier vielleicht über Nahtoderfahrungen forschen, aber sie wäre dennoch eine kleine weiße Ratte.
»Ich habe alles hier, was Sie brauchen, Ihre Bücher und Daten. Da wir nicht wussten, ob wir Sie jemals finden, haben wir alles durchgesehen.«
Sie hätten sowieso alles durchgesehen . Sie saß zwar ganz ruhig da, aber der Druck in ihrer Brust verstärkte sich, und ihr Herz schlug schneller.
»Obwohl Sie detaillierte Aufzeichnungen, Aussagen und Transkriptionen von all ihren anderen Probanden haben, findet sich nirgends ein Bezug zum Schattenmann.« Er blickte sie an. »Wer ist dieser Proband?«
Talia schwieg, starrte ihm ebenfalls in die Augen und konzentrierte sich darauf, langsam ein- und auszuatmen. Wenn er schon so viel wusste, würde sie ihm ganz bestimmt nicht noch mehr erzählen.
Für einen Augenblick ließ er den Kopf sinken. Als er ihn wieder hob, sah Adam sie mit angespanntem Ausdruck an. »Okay, stellen wir die Frage einen Augenblick zurück. Probieren Sie es aus. Richten Sie sich in Ihrem eigenen Labor ein und gehen Ihre Untersuchungen durch. Es gibt noch etwas anderes. Eigentlich hatte ich vor zu warten, bis Sie wieder ganz auf dem Posten sind, bevor ich mit Ihnen darüber spreche, aber ich will gleich mit offenen Karten spielen. Ihre Laborwerte weisen interessante Ergebnisse auf. Sie sind verrückt, stimmen aber merkwürdigerweise mit ähnlichen Tests überein, die nach dem beinahe tödlichen Unfall vor zehn Jahren gemacht worden sind, damals aber ignoriert wurden.«
Labortests. Natürlich. Labortests logen nicht. Labortests förderten Abnormitäten zutage. Hatte Tante Maggie sie nicht vor Jahren schon vor Ärzten gewarnt?
»Und Sie verfügen über einen Reflex. Ich glaube, dass er durch Angst ausgelöst wird. Er wirkt sich auf Ihre unmittelbare Umgebung aus. Wie ein Chamäleon, das mit einem Baum verschmilzt, nur umgekehrt.« Er lächelte und neigte den Kopf zur Seite. Als wenn irgendetwas davon sie beruhigte. »Der Flug von Arizona hierher war ziemlich aufregend. Ich nehme an, dass Ihre spezielle Begabung Ihnen sehr geholfen hat, den Geistern so lange zu entkommen.« Wieder hielt er inne, dann durchbohrte er sie mit seinem Blick. »Was sind Sie?«
Sollte er tatsächlich eine Antwort erwarten, würde er sie nicht bekommen. Er schälte die Haut von ihrem Körper, um ihren zitternden Kern dem eisigen Raum auszusetzen.
Er seufzte schwer und entspannte sich etwas. »Dr. O’Brien, ich beschäftige mich jetzt schon eine ganze Weile mit diesen Sachen. Ich habe einige ungewöhnliche Vorgänge gesehen und will Ihnen nichts Böses. Sie haben mich in der Gasse genauso gerettet wie ich Sie. Ich glaube, wenn Sie es zuließen, könnten wir ein gutes Team sein.«
Ein gutes Team. Wem versuchte er, etwas vormachen? Er wollte in ihren Kopf sehen. Sie erforschen.
»Das Angebot einer Stelle hier in Segue steht. Sie hätten Ihr eigenes Büro, wo immer Sie wollen. Oben gibt es drei Wohnungen. Sie können sich eine davon aussuchen. Im Westflügel spukt es. Wenn Ihnen Ihr Schlaf heilig ist, sollten Sie sich
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