Zwielichtlande
schwarzem Leder, schien das Licht zu verschlucken. Mit seiner gefährlichen Peitsche und einer Drehung der Schatten band die Gestalt mühelos ihre langen Haare hinten zusammen. »Deinen jetzigen Körper hast du dir ausgesucht, er ist aus deiner Seele entstanden und deshalb sterblich. Pass gut auf ihn auf. Sie ist ohnehin verloren.«
Der Schattenmann kam aus der Deckung, stellte sich hinter die Horde unsterblicher Toter und tippte einem von ihnen auf die Schulter.
Das Wesen drehte sich um und öffnete den Mund, schon wurde ihm das Genick gebrochen. Die Geister, die am nächsten standen, wichen vor dem Tod zurück und trampelten über andere hinweg, die auf der Flucht vor jenem Wesen gestürzt waren, das sie töten konnte, ohne dabei selbst zu sterben. Der Schattenmann hatte einige umgebracht, bevor er sich zu erkennen gegeben hatte.
Die Geister zerstreuten sich. Einige stürzten in Richtung des Containers, hinter dem sich Custo mit der zitternden Annabella versteckt hielt. Ein Geist sprang mit einem großen Sprung über den Container. Custo änderte seine Flugbahn, lenkte ihn mit dem Kopf zuerst auf den Asphalt und drehte ihm den Hals um. Tot.
Zwei weitere nahten von der Seite. Den einen brachte Annabella zum Stolpern und erhielt dafür einen Schlag, was Custo derart wütend machte, dass er ihm erst mit dem Knie das Rückgrat brach und dann mit einem Schlag das Genick, wobei er ihm beinahe den Kopf von den Schultern riss. Der zweite Geist verfehlte mit seinem Kiefer Custos Gesicht und verbiss sich in seiner Schulter. Er zuckte zusammen, als Annabella ihn mit etwas durchbohrte, und ließ los. Custo stieß dem Geist seinen Ellenbogen ins Gesicht, zertrümmerte ihm die Nase, schleuderte ihn über seine Schulter, zerquetschte seine Luftröhre und brach ihm anschließend ebenfalls das Genick.
Unter der Aufsicht des Schattenmanns waren sie sicherer. Kein Geist würde sich so nah an sie heranwagen, dass er ihnen etwas antun konnte. Custo griff Annabellas Hand und raste zu dem riesigen dunklen Mann, der die Geister teilte wie Moses das Rote Meer. Geisterleichen lagen überall auf dem Weg, der Geruch war so widerlich, dass Annabella sich übergeben musste, jedoch weiter neben Custo her stolperte.
Ein Stück weiter hinten befanden sich die weißen Trümmer des Turms und die bunte Gruppe aus Segue, die die Geister in Schach gehalten hatte. Adam gab Anweisungen und organisierte Erste Hilfe, um so viele verletzte Engel wie möglich zu retten. Er blickte herüber, bemerkte den Schattenmann, Custo und Annabella, fuhr jedoch mit seiner Arbeit fort. Die Zeit war knapp. Ein jämmerliches Grüppchen Engel grub in dem Schutt nach Überlebenden. Sie riefen mit ihrem Geist nach ihnen, warteten auf Antworten, erhielten aber nur hier und da ein schwaches Lebenszeichen.
Haltet durch. Es kommt Hilfe.
Custo begriff. Die Erkenntnis durchfuhr ihn eiskalt, und er schlang die Arme um Annabella.
Der Turm bot ihnen keine Zuflucht mehr. Hier würden sie keine Hilfe für Annabella finden. Die Engel konnten sie nicht retten, wenn ihre Brüder und Schwestern verschüttet und ihre sterblichen Seelen in Gefahr waren.
In einer Minute, oder in zehn, oder in dreißig würde der Wolf wieder hinter Annabella her sein. Sie versuchte, ihr wachsendes Zittern zu verbergen, konnte jedoch niemandem etwas vormachen. Custo würde wieder und wieder gegen ihn kämpfen müssen. Da er sterblich war, würde der Wolf am Ende die Oberhand gewinnen.
Was hieß …
Der Schattenmann richtete seinen kalten Blick auf Annabella, die zusammenfuhr.
»Bitte hilf ihr«, sagte Custo.
»Haben deine Eltern dir nichts beigebracht?«, fragte der Tod Annabella voller Verachtung.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, erwiderte sie.
Der Schattenmann lächelte mitleidig. »Vor langer Zeit ist ein Mädchen genau wie du in das Schattenreich gekommen. Sie hieß Persephone und hat genau wie du alle Warnungen ignoriert. Sie hat vier Granatapfelkerne gegessen und sich dadurch verpflichtet, jedes Jahr eine Jahreszeit im Jenseits zu verbringen.« Der Tod musterte Annabella provokant. »Wie viel hast du am Tisch des Jägers gegessen?«
Der schreckliche Ton des Schattenmanns spiegelte sich in Annabellas Miene, beinahe wäre Custo eingeschritten. Aber sie hob ihr Kinn, erwiderte den kühlen Blick des Mistkerls und sagte: »Ich glaube, ich habe mit der Schokolade angefangen, und dann habe ich ein Eclair gegessen, nein, warten Sie.« Mit dramatischer Geste neigte sie den Kopf, als würde sie
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