Zwielichtlande
postiert – Panzer schützten ihre Oberkörper, und sie trugen Helme, die ihre Gesichter verdeckten. Vor der Brust hielten sie eine Art Maschinengewehr im Anschlag. Gut, dass sie nicht versucht hatte zu fliehen. Wo zum Teufel war sie?
»Lassen Sie sich von denen nicht stören«, sagte Talia über ihre Schulter hinweg, während sie den Gang hinunterliefen. »Es sind gute Kerle.«
Gute Kerle, richtig. Wenn das gute Kerle waren, mussten die bösen Kerle aber richtig gruselig sein.
Zu dritt erreichten sie ein riesiges Schiebetor aus vernietetem Metall; es war groß genug, dass ein Fahrzeug hindurchpasste. Adam betätigte eine Tastatur, und das Tor ruckte zur Seite, wobei der ohrenbetäubende Lärm von Metall auf Metall durch den Gang hallte. Dahinter befand sich ein langer, erleuchteter Tunnel, der an eine Industrie-Unterführung erinnerte. Eine gelbe gestrichelte Linie ordnete den beiderseitigen Verkehr, aber jetzt herrschte Leere. Trotz der hohen Betondecke vermittelte der Gang ein höhlenartiges Gefühl, als befänden sie sich weit unter der Erde. Trotz all des Platzes und ausreichend Luft kämpfte Annabella mit einem wachsenden klaustrophobischen Druck.
»Ein umgebauter Schutzbunker der Regierung«, erklärte Talia. »Er ist so konstruiert, dass er allem standhält. Für die Beherrschung der Geister bestens geeignet, aber ich finde ihn trotzdem furchtbar.«
»Ich glaube, ich auch«, entgegnete Annabella und schluckte schwer. Sie liebte es gemütlich – weiche Kissen, ägyptische Laken, warme Farben, kuschelige Überwürfe auf den Sofalehnen und Schnickschnack auf jeder freien Fläche. Hier war es so kalt, hart und leer wie in einem Grab. »Leben Sie hier?«
Talia lachte, aber es klang gezwungen. »Vorübergehend. Der Hauptsitz von Segue liegt in West Virginia. Er wurde erst kürzlich renoviert und ist sehr luxuriös.«
Das bezweifelte Annabella.
Sie erreichten einen schweren gelben Lastenaufzug und stiegen hinein, es handelte sich um einen offenen Fahrzeugaufzug. Annabella tat es Adam und Talia gleich, trat vom Rand zurück und hielt sich am Geländer fest. Talia lehnte sich an Adams Brust. Langsam bewegte sich der Aufzug durch eine Öffnung in der Decke in eine andere Etage.
Im oberen Stockwerk herrschte reger Betrieb: mit jaulendem Motor transportierte eine Art Bahn Kisten voller Material. Menschen in Laborkitteln, an deren Brust oder Taille ein Ausweis baumelte, schritten zielstrebig durch den Tunnel. Wie in der Etage darunter standen bewaffnete Posten Wache. Schwitzende, muskulöse Männer in Tanktops und kurzen Hosen joggten in perfektem Gleichschritt hinter einem Soldaten her durch die gesamte Etage.
Adam blickte hinunter zu Talia. »Hast du keinen Wagen genommen?«
»Mir war nach Gehen«, erwiderte sie. »Ich habe den ganzen Tag gesessen.«
»Du solltest sitzen.«
»Mach mir keine Vorschriften.«
Annabella folgte dem zankenden Paar aus dem Gang in eine niedrige, moderne Eingangshalle, in der einige zielstrebig wirkende Menschen in Laborkitteln und weißen Hemden ihrer Arbeit nachgingen – worin auch immer diese bestand. Mit einer Sache hatten Custo und Adam recht: Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich hier der Wolf einschlich. Hier starb jede Fantasie, selbst Albträume. Bei den ganzen Sicherheitscodes, Ausweisen und Soldaten schien allein die Vorstellung von einem Schattenwolf lächerlich.
Sie erreichten eine doppelte Glastür mit der Aufschrift KRANKENSTATION und wollten gerade eintreten, als Adam von einem aufdringlichen Mann aufgehalten wurde, der ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Adam hörte zu und drehte sich dann zu Talia um. »Hast du etwas dagegen, wenn du dich allein um sie kümmerst? Ich habe etwas zu erledigen.«
»Überhaupt nicht. Wir sehen uns später auf dem Zimmer.« Talia griff nach seinem Hemd und küsste ihn auf den Mund. Adam strich mit der Hand durch ihre Haare und blähte die Nasenflügel, als würde er ihren Duft einatmen. Als er sie losließ, hatten die Stressfalten in seinem Gesicht nachgelassen. Annabella empfand diese schlichte Geste als schmerzlich. Obwohl Adam und Talia sich stritten, hatte ihre Verbindung etwas sehr Wahrhaftiges und Verlässliches. Es handelte sich nicht um die schmalzige Liebe aus dem Märchen, sondern um die dauerhafte Variante. Die, bei der ein Paar die Höhen und Tiefen des Lebens miteinander teilte. Das war bei Annabellas Eltern anders gewesen, bei jeder Beziehung, die sie kannte. Daraus hatte sie den Schluss gezogen, dass es so etwas
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