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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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denn das Tageslicht reflektierte sich auf den Fenstern.
    Er fürchtete sich nicht vor dem alten Mann, aber dennoch gab ihm Krügers Stilett, dass er unter der Jacke verbarg, ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit.
    Er zwängte sich an dem Bauzaun vorbei und erkannte sofort, dass sich hier Kinder oder Jugendliche herumgetrieben hatten. Er selbst hatte sich im Alter von vierzehn, als ihn alle nur Ritsch nannten, mit seinen Freunden immer wieder auf einen verlassenen Bauernhof am Stadtrand von Unna zurückgezogen. Es war für eine Weile ihr ganz persönliches Paradies gewesen, aber in der Pubertät war man ungestüm und fand Spaß daran, Dinge sinnlos zu zerstören.
    Genau davon hatte der Nachwuchs hier ausgiebig Gebrauch gemacht. Man hatte Scheiben eingeworfen worden, Stühle aus den Gebäuden gezerrt und im Freien zerschmettert. Überall lagen Plastiksäcke herum. Einige waren aufgeschlitzt worden und ihr Inhalt hatte sich in der Verbindung mit Luft und Wasser zu dicken Klumpen verhärtet.
    All das interessierte Richard nicht. Der Zugang zu dem alten Haus befand sich unter der Erde.
    Stufen führten ins Dunkel. An den Gestank, der ihm dort unten entgegenschlug, hatte er sich fast schon gewöhnt.
    Der Tag erhellte den Treppenschacht nur auf den ersten Stufen, dann wurde die Welt grobkörnig und schließlich finster.
    Richard zündete das Feuerzeug an und drehte die Flamme so weit auf, dass er das Zischen des entweichenden Gases hören konnte.
    Er entdeckte einen Lichtschalter und probierte ihn ohne Erfolg aus. Als er die Flamme über seinen Kopf hielt, konnte er sehen, dass hier sämtliche Glühbirnen zerschmettert worden waren.
    Hinter einer Biegung stieß er auf eine Tür aus Metall. Sie war in einem wesentlich schlechteren Zustand als die im Keller des alten Hauses. Verrostet und zerbeult. In der Höhe des Schlosses hatte sie jemand mit grobem Werkzeug aufgebrochen.
    Die Tür ließ sich nicht mehr verriegeln, aber die rostigen Scharniere und die ramponierte Zarge leisteten einigen Widerstand. Während sich die Tür sich knirschend und quietschend öffnete, fiel sein Blick im Schein der flackernden Flamme auf einen dünnen Kupferdraht, der an der Wand entlang führte.
    „Verdammt!“, fluchte er und die Flamme erlosch. Das Feuerzeug in seiner Hand war glühendheiß geworden.

    „Es wird langsam Zeit“, sagte der Mann. „Ich habe heute Abend eine wichtige Verabredung.“ Er bog den Lampenschirm nach oben, so dass eine Hälfte des Raumes von weißem Licht erhellt wurde.
    Maria hörte die Botschaft von ihrem Tod in der Tonlage seiner Stimme. Nein! , schrie sie, aber das Wort hallte nur von den Innenwänden ihres Schädels wider. Aus ihrem Mund drang kein Laut. Die Angst hatte ihre Stimmbänder gelähmt. Stirn und Schläfen waren trotz der Kühle nass von Schweiß, die Wangen von Tränen und Blut.
    Der Fremde öffnete mit leisem Klicken einen Koffer und kam dann zu ihr herüber.
    „Was nehme ich bloß?“, sprach er über ihr und schien sie gar nicht mehr als menschliches Wesen wahrzunehmen. In der Hand hielt er ein Messer. Im Licht erkannte Maria, dass es das Messer mit der gewellten Klinge aus ihrer Küche war.
    Der Mann ließ das Messer über ihrem Gesicht kreisen. „Er soll ja sofort erkennen, dass es von dir ist. Verstehst du, Kleine?“, wandte er sich direkt an sie.
    Sie schloss die Augen. Wünschte, sie könnte einfach den wilden Schlag ihres Herzens stoppen, um einem schmerzvollen Tod zuvorzukommen.
    „Augen sind da eine schlechte Idee“, hörte sie ihn sagen, als ginge es darum, das passende Hemd für eine Cocktailparty auszusuchen. „Er könnte meinen, ich hätte sie mir in der Metzgerei besorgt. Von einem Kälbchen.“ Er lachte kurz über seine Bemerkung und wurde sofort wieder ernst. „Du musst nicht denken, dass mir das hier Spaß macht. Es ist nicht meine Art, unnötig wehzutun. Für so etwas habe ich normalerweise auch gar keine Zeit. Kannst du dir vorstellen, wie viel Arbeit das Impfen macht?“
    Maria schwieg.
    „Nein, das kannst du nicht“, stellte er fest und seufzte tief.
    Als er nicht weitersprach und sie nur sein regelmäßiges Atmen vernahm, wagte sie es, die Augen zu öffnen. Er stand noch immer neben dem Tisch und schaute gedankenverloren ins Leere. An der Unterseite seines Kinns konnte sie eine wulstige Narbe erkennen.
    „Vielleicht muss ich gar nicht geimpft werden“, sagte sie.
    „Ach, Kleine“, sagte er kopfschüttelnd. „Du hast das Prinzip nicht verstanden. Allein, weil

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