Zwilling verzweifelt gesucht
ein Baby klauen “ , flüstert Alisia.
Ich stelle es mir vor und bekomme auf der Stelle Schweißfüße. Jeden Moment werden aus den Türen links und rechts von uns Wachleute herausspringen und sich auf uns stürzen.
Die Dicke biegt in ein Krankenzimmer ein, aber wir gehen einfach weiter. Eine Pflegerin kommt uns entgegen, eine dünne Akte unter den Arm geklemmt. Ich sehe genau, wie sie zögert, aber dann marschiert sie doch an uns vorbei.
„ Da vorne sind die Babys “ , flüstere ich.
Wir bleiben vor einer weiteren Glastür stehen. Alisia deutet an die Decke.
„ Wir werden gefilmt “ , wispert sie. „ Überall Überwachungskameras. “
„ Die gab’s damals bestimmt noch gar nicht “ , flüstere ich zurück.
„ Na, zu wem gehört ihr denn? “ , dröhnt eine Stimme direkt hinter uns.
Die Stimme gehört der groß gewachsenen, muskulösen Stationsschwester, um die ich vor einem Jahr schon einen großen Bogen gemacht habe. Sie sieht so aus, als könne sie einen Verdächtigen einfach an ihrem Brustkorb zerquetschen. Sofort rutscht mir das Herz in die Hose. Aber Alisia strahlt die Schwester scheinbar ganz unbefangen an.
„ Wir müssen für die Schule etwas herausfinden. “
„ Wie bitte, hier? “ , dröhnt die Schwester. „ Seid ihr überhaupt angemeldet? “
Alisia wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich entscheide mich für die Wahrheit – was haben wir schon zu verlieren!
„ Ich bin hier geboren “ , sage ich. „ Und meine Zwillingsschwester auch. “
Der Blick der Stationsschwester wandert ratlos zwischen Alisia und mir hin und her.
„ Das hier ist nur meine Freundin “ , füge ich schnell hinzu. „ Meine richtige Schwester ist damals nämlich entführt worden. “
Die eisgrauen Augen der Schwester weiten sich. „ Ist das wahr? “
Jetzt springt Alisia ein. „ Sie muss hier aus der Klinik entführt worden sein. “
Die Schwester runzelt die Stirn.
„ Ihr wollt mich wohl veräppeln? Aus dieser Klinik werden keine Kinder entführt. “
„ Ich … es ist ja schon ganz lange her … “ , stammle ich.
Aber ihre Miene verfinstert sich weiter.
„ Macht, dass ihr rauskommt! “ , bellt sie. „ Wenn ihr glaubt, ein Krankenhaus ist ein Spielplatz, dann habt ihr euch geschnitten! “
Erst als wir schwer atmend im Treppenhaus stehen, fällt mir auf, dass wir kein einziges Baby gesehen haben. Selbst durch die Glasscheibe hindurch konnte man eigentlich nur die Bettchen sehen. Die Kinder sind winzig und dick in Decken eingemummelt, weil es auf der Welt ja viel kälter ist als im Bauch ihrer Mutter.
„ Pech “ , sagt Alisia ungerührt. „ So kommen wir nicht weiter. “
Und in diesem Moment entdecke ich den netten schwarzhaarigen Pfleger. Er trabt mit beschwingten Schritten durch den Flur auf seine Station zu. Dann stutzt er, zögert, sieht mich an. Es kann doch nicht sein, dass er mich noch kennt, oder?
„ Den kenne ich “ , flüstere ich Alisia zu. „ Aber das hilft uns nicht weiter. Er kann nämlich kein Deutsch. “
„ Herzlich willkommen! “ , ruft der Pfleger in diesem Moment und hält mir seine behaarte Hand hin. „ Ist deine Mutter wieder hier? Neue Zwillinge? “
Ich starre ihn fassungslos an. Ist vielleicht mit meinem Gedächtnis irgendetwas nicht in Ordnung?
„ Ich habe Deutsch gelernt! “ , verkündet der Pfleger stolz – er hat das Fragezeichen in meinem Gesicht offenbar richtig gedeutet. „ Abendkurs. “
„ Cool “ , stammle ich. „ Nein, wir kriegen keine Zwillinge. Ich bin … “
Alisia schubst mich aufmunternd. Also erzähle ich dem Pfleger die ganze Geschichte – na ja, das, was Alisia und ich uns überlegt haben. Dass mir meine Zwillingsschwester fehlt. Dass jemand sie entführt haben muss, gleich hier aus der Klinik.
Der Pfleger fährt sich mit der Handfläche übers Kinn. Das erzeugt ein schabendes Geräusch, weil er einen leichten Stoppelbart hat.
„ Möglich “ , murmelt er schließlich. „ Auf der Welt ist alles möglich. “ Er seufzt, aber dann lächelt er gleich wieder über das ganze Gesicht. „ Man kann sich das doch vorstellen … eine junge Frau, deren Kind vielleicht bei der Geburt gestorben ist … und dann ein ganzer Raum voller weinender Babys … sie geht hin, sieht sich die Kinder an … und eins darunter sieht vielleicht so aus wie ihr eigenes, verlorenes Kind … “
Ich habe Tränen in den Augen.
„ Ist das denn hier schon mal vorgekommen? “ , fragt Alisia so streng wie eine Kriminalbeamtin, die ohnehin
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