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Zwilling verzweifelt gesucht

Zwilling verzweifelt gesucht

Titel: Zwilling verzweifelt gesucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Obrecht
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überhaupt keine Lust, über irgendein drängenderes Problem nachzudenken.
    „ Svenja? “ Meine Mutter steckt den Kopf durch den Türspalt. „ Kannst du mal zu Frau Rabusch rübergehen und fragen, ob sie uns ein bisschen Zucker borgt? “
    Ich seufze schwer. Keine Zwillingsschwester da, auf die ich diesen lästigen Auftrag abschieben könnte.
    „ Wann denn? “
    „ Jetzt gleich natürlich! “
    „ Ja, geh schon … “
    Ich würde ja gerne Mops und Moppel mitnehmen, aber Frau Rabusch mag es nicht, wenn Hunde in ihrem Garten nach Mäusen graben. Dabei mag sie auch keine Mäuse im Garten. Manchen Leuten kann man es nur sehr schwer recht machen.

    Frau Rabusch baut in diesem Garten keinerlei Gemüse an. Sie isst wohl nicht gerne Karotten und so etwas. Stattdessen wachsen in ihrem Garten viele Blumen. Vielleicht gibt es Menschen, die sich von Blumen ernähren? Nun, wenn dem so ist, gehört Frau Rabusch garantiert nicht zu ihnen. Menschen, die sich von Blumen ernähren, werden davon sicher weich und sanft, anders als Frau Rabusch. Die wirkt so ruppig, als würde sie schon zum Frühstück Brombeergestrüpp und Disteln zu sich nehmen.
    „ Warum grinst du? “ , fragt Frau Rabusch zur Begrüßung mit säuerlicher Miene.
    Ich bemühe mich, mein Grinsen in ein höfliches Lächeln zu verwandeln, und trage mein Anliegen vor.
    Frau Rabusch macht dreimal „ Hm “ und zweimal „ Na ja … “
    Dann sagt sie: „ Komm rein. “ Und verschwindet im dunklen Flur. Ich halte die Luft an, denn bei Frau Rabusch riecht es immer sehr scharf nach allerlei Putzmitteln und Gulasch.
    „ Setz dich “ , kommandiert Frau Rabusch. Ich setze mich brav an den glänzenden Küchentisch. Ohne etwas zu sagen, nimmt Frau Rabusch ein Glas aus dem Schrank und eine Milchpackung aus dem Kühlschrank. Sie füllt das Glas bis zum Rand und stellt es direkt vor mich. „ Trink! “
    Ich hasse Milch. Von Milch wird mir übel. Aber ich habe Angst vor Frau Rabusch, und wenn sie uns keinen Zucker leiht, kann Mama keinen Kuchen backen. Das kann ich nicht verantworten.
    Frau Rabusch sieht mir zufrieden beim Trinken zu. „ In so ei ner großen Familie kommt immer einer zu kurz “ , erklärt sie. „ Ich weiß, wovon ich spreche. “
    Und ich weiß, wann erwartet wird, dass ich nachfrage.
    „ Sind Sie denn in einer großen Familie aufgewachsen? “ , frage ich höflich.
    „ Sechs Brüder! “ Frau Rabusch hält sechs Finger hoch. Ihr linker Daumen ist verfärbt, als habe sie eben noch Karotten geschnitten. Ich hätte ihr wenigstens eine Karotte mitbringen können, im Tausch gegen den Zucker.
    „ Sechs Brüder! “ Ich nicke beeindruckt.
    „ Und einen Appetit hatten die! Wie sechs Wölfe! “ Sie fletscht die Zähne. Ich schiele nach der Uhr. Meine Mutter wartet auf den Zucker. „ Für mich jedenfalls ist nie Milch übrig geblieben “ , murmelt Frau Rabusch und gießt mein Glas noch einmal voll, bevor sie sich mit den Handflächen vom Tisch hochstemmt und einen Hochschrank öffnet.
    Ich sehe mich panisch nach einer Blumenvase um, in die ich meine Milch vielleicht heimlich kippen könnte. Keine da. Also kippe ich die Milch stattdessen mit Todesverachtung in meinen entsetzt hüpfenden Magen und wünsche mir dabei sechs richtige Wolfsbrüder, die mich rächen würden … Sie würden heute Nacht vor Frau Rabuschs Fenster heulen, bis sie mit Milchpackungen werfen würde. Aber nicht einmal dafür sind meine Brüder Finn und Fabian zu gebrauchen. Sie kennen Wölfe nur aus Computerspielen.
    „ Haben Sie deswegen keine Kinder? “ , frage ich, als ich wieder atmen kann. „ Weil Ihre Kindheit nicht schön war? “
    Frau Rabusch dreht sich überrascht zu mir um. Die Zuckerpackung zittert in ihrer Hand.
    „ Wie kommst du darauf, dass ich keine Kinder habe? “ Ihre Stimme ist plötzlich kalt und schneidend. „ Ich habe einen Sohn. Er ist natürlich erwachsen. “
    „ Ach so “ , sage ich schnell. „ Wo wohnt er denn? “
    Frau Rabusch stellt das Zuckerpäckchen so schwungvoll vor mich hin, dass einige Zuckerkristalle herunterrieseln. Sie setzt sich nicht mehr, sondern wartet darauf, dass ich aufstehe. Offenbar habe ich die falsche Frage gestellt.
    „ Er wohnt weit weg. Sag deiner Mutter, sie kann sich jederzeit melden, wenn sie etwas braucht. Die arme Frau. “
    Ich weiß nicht, warum meine Mutter eine arme Frau ist, frage aber lieber nicht noch einmal nach. Mein Magen windet sich, als ich aus der Haustür taumle. Hoffentlich übergebe ich mich jetzt nicht

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