Zwillingsblut (German Edition)
sie zwar gerochen, aber darauf vertraut hatte, dass er von einer Waffe stammte.
«In Ordnung, du hast für heute die Oberhand, aber wenn du meinen Boss weiterhin beleidigst und nicht auf sein Angebot eingehst, werde ich dich bald ohne die Waffe finden.« Er lächelte. »Und dann werden wir sehen, wie cool du wirklich bist!«
Erschieß ihn!
, verlangte eine kaltblütige Stimme in Sofias Kopf, die wusste, dass Noctalyus keine leere Drohung ausstieß. Trotzdem konnte Sofia ihn nicht einfach töten. Der Grund war einfach nicht gut genug.
»Muss ich dich an London erinnern?«, gab sie stattdessen höhnisch zurück.
»Oder ich dich an Paris.«
»Das warst nicht du und es war nicht ein einzelner Vampir.«
»Oh!«, lachte er, »ich habe Freunde.«
Wahrheit
.
Bevor Sofia über die offensichtliche Drohung nachdenken konnte, hatte Lysander seine magische Kette gehoben und ein unverständliches Murmeln von sich gegeben. Der gierige Ausdruck in seinen Augen machte Sofia Angst und sie versuchte zurückzuweichen, aber sein silberner Blick hatte sie in seinen Bann geschlagen. Sie konnte nur hilflos mit ansehen, wie er aufstand und die leere Perle berührte, die nun tatsächlich zu leuchten schien. Sofia starrte in die wabbernde Helligkeit. Sie bildete formlose Konturen, die umeinander wirbelten, sich verbanden und wieder lösten. Die Bewegung erschienen magisch, sinnlich anziehend und verrucht verlockend. Sie konnte spüren, wie Lysander näher an sie herantrat. Das Prickeln auf ihrer Haut verriet ihr, das er seine Hand gehoben hatte, um sie ihrer eigenen Kette zu entledigen. Für einen Moment fühlte sie sich merkwürdig fern von ihrem Körper, schwebte zwischen den Möglichkeiten, dann traf sie die Magie.
»Du gehörst mir, Mädchen!«, schien das Schmuckstück anmaßend prophetisch mit der Stimme Lysanders zu flüstern. Die Worte klirrten in ihrem Inneren undhinterließen eine eiskalte Spur der Verzweiflung, wie ein Eiswürfel, den jemand durch ihre Gedanken gezogen hatte und dessen geschmolzene Wasserränder sich langsam einen Weg durch ihre Synapsen bahnte. Sofia versuchte, ihren Blick abzuwenden, doch das faszinierende Glühen zog ihn magisch an, als es an Macht zu gewinnen schien und immer mehr Präsenz erhielt.
Automatisch hatte sich ihr Arm in Richtung des Leuchtens bewegt und all ihre Sinne hatten sich ohne ihren Verstand verbündet und den Abzug betätigt. Der Schuss hallte ohrenbetäubend laut in der weißen Stille, die Schreie Noctalyus und des dunkelhäutigen Liebhabers vermischten sich mit dem Hall und bildeten zusammen mit dem Geruch nach Schießpulver und Blut ein Gemisch des Grauens.
Sofia, aus ihrer Trance erwacht, nahm das Geschehen wie in Zeitlupe wahr. Lysander, der ausgestreckt vor seiner Couch auf dem schwarzen Teppich lag, wie ein Fremdkörper. Sein Körper war viel zu hell gegen das Schwarz des Teppichs, das Loch in der Mitte seines Brustkorbes unnatürlich groß. Das Blut auf seiner Haut folgte langsam der Schwerkraft, obwohl die ausgefransten Ränder der Eintrittswunde schwarz waren und wie angefressen von Feuer zu brennen schienen.
Ist er tot?
Eine dumme Frage wenn es um einen Vampir ging, aber es war trotzdem der erste Gedanke, der Sofia durch den Kopf ging. Der zweite, beinahe zeitgleiche war:
Flucht!
23
Sofia konnte nicht sagen, wie sie es geschafft hatte, Lysanders Raum zu verlassen. Sie erinnerte sich noch an den ungläubigen Gesichtsausdruck auf Noctalyus Gesicht, als er versucht hatte sie festzuhalten, und sich an der Wand klebend wieder fand. Von seinem eigenen Gewicht und dem Druck von Sofias Stoß dorthin katapultiert.
Die zuckenden Stroboskoplichter des Clubs brachten mit jedem Aufblitzen kurze Momente der Helle in ihre Erinnerung, Bruchteile von Sekunden, die aus der Dunkelheit auftauchten, keinen Sinn ergaben und wieder verschwanden. Die Farben waren mit einem Mal absurd bunt, ungewohnt für ihre Augen und kaum der normalen Skala zuzuordnen, das Hämmern des Basses dröhnte durch ihren ganzen Körper, versetzte ihn in Schwingung, erregte und schärfte ihre Sinne noch weiter. Die Gedanken und Gefühle der Menschen und Vampire schwebten wie Duftstoffe um ihre Körper. Mit ihren Sinnen – Sinne, von denen Sofia vorher nichts gewusst hatte – wahrnehmbar. Die Bewegungen der anderen erschienen ihr abgehackt und widernatürlich, beinahe als sähe sie in Zeitlupe, während sie sich mit atemberaubender Geschwindigkeit – mehr eine vorbeihuschende Ahnung als eine reale Person –
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