Zwillingsblut (German Edition)
Dieses Mal ging es nicht um Macht, Dominanz oder Sex, dieses Mal sollte sie nicht geteilt, gehasst oder geliebt werden. In den kurzen, abgehackten Sätzen ihrer Verfolger hörte sie ihren Tod, ihre vollständige Vernichtung.
Sie war nach Prag gekommen, um die Gruppe zu finden, die weibliche Vampire jagte. Stattdessen war sie in die Falle getappt, eine Falle, die Edward wahrscheinlich seit London für sie geplant hatte. Geschickt hatte er sie manipuliert, sie glauben lassen, er wäre auf ihrer Seite, würde sich für sie interessieren und ihr helfen. Stattdessen hatte er sie durch seine Avancen abgelenkt und kontrolliert, belogen und betrogen. Und die Tatsache, dass sie Sofia und nicht Melanie war hatte wahrscheinlich ihren Tod besiegelt. Sofia versuchte die Enttäuschung über diesen Verrat niederzukämpfen. Sie schmerzte mehr, als die Tatsache, dass es Vampire gab, die sie für ihre bloße Existenz hassten.
Die Vampirin versuchte auszuweichen, als sie begriff, dass die Vampire sie Richtung Moldau trieben. Doch rechts und links von ihr waren ebenfalls Verfolger aufgetaucht, die sie vorher nicht bemerkt hatte und schnitten ihr die Möglichkeit ab zum »Smetana-Museum« oder auf den »Kreuzherrenplatz« mit seinen beiden ausgeleuchteten Kirchen auszuweichen. »St. Franziskus« und die »Salvatorkirche« lagen außerhalb ihrer Reichweite, ihre Heiligenstatuen und Kreuze nur ein fernes Hoffnungszeichen in der Nacht, das »Denkmal Karls IV« nur eine malerische Nullnummer.
Sofia wusste, dass es ein Fehler war, noch bevor sie die »Karlsbrücke« betreten hatte. Sie erinnerte sich an den fliegenden Vampir, hörte die Geräusche um sich herum und versuchte sich zu ducken, die »Statue des heiligen Nepomuks« in der Mitte der Brücke als Deckung zu benutzen. Aber das lebende Gewicht von obentraf sie und drückte sie zu Boden, während die anderen Vampire zu schnell Sofias kleinen Vorsprung aufgeholt hatten. Hände griffen nach Sofia, nach ihrer Glock, entrissen ihr die Waffe, zerrten und schupsten die Vampirin, hielten und leiteten sie, rücksichtslos. Sofia schlug und trat um sich, versuchte gezielt soviel Schaden anzurichten, wie ihr möglich war, doch es war unmöglich in diesen wabbernden Schemen einzelne Vampire auszumachen, zu schnell verschwand der eine, den sie ins Auge gefasst hatte, griff der nächste zu, und wurde wieder durch andere Hände ersetzt. Sofia konnte nicht unterscheiden, wie viele Vampire es waren, kaum Gesichter als helle Flecken in der Dunkelheit ausmachen. Sie fühlte nur die Eiseskälte, die Verzweiflung und ihre eigene Lähmung. Die Vampire drückten und quetschten, waren sogar über ihr. Manchmal traf die Vampirin Gliedmaßen bei dem Versuch sich zu wehren, doch schließlich wurden Sofias Füße einfach vom Boden gerissen und festgehalten. Sie konnte spüren, wie sie ihre Schuhe verlor und immer mehr Haut von der kalten Luft berührt wurde.
Der erste Biss war ein Schock, ebenso der zweite und dritte. Die Vampirin konnte spüren, wie sich lange Reißzähne durch ihre Haut bohrten und Marken hinterließen, egal, ob die Vampire nur bissen oder Adern erreichten und sich von Sofia nährten. Sofia fühlte sich, als würde sie bei lebendigem Leibe aufgefressen, zerfleischt. Die Schmerzen glühten in ihren Adern und in ihrem Verstand, sie spürte den Verlust des Blutes, ihrer Kraft, hörte unzensierte Emotionen und Gedanken, spürte die Gier der anderen Vampire, ihren Hunger und ihre Abscheu vor ihr.
Doch es war nicht genug Abscheu, um Sofia als Lebensquell abzulehnen und die Geräusche des Reißens und Trinkens waren ebenso Ekel erregend, wie das Schwinden ihrer Kraft, das Weiterfließen ihres Lebenssaftes in einem anderen Körper. Milliliter für Milliliter tranken die Vampire Sofias Stärke, saugten sie aus. Sofias Umgebung begann sich zu drehen und sich in ein verwischtes Bild ohne Konturen zu verwandeln. Rechts, links, oben und unten begannen zu kreisen, während ihr Blut konsumiert wurde und in immer mehr Mündern zu verschwinden schien. Plötzlich wurde sie losgelassen, der Boden kippte nach oben und kam näher. Als sie aufschlug spürte sie kurz den Schmerz, bevor gnädige Agonie sie betäubte. Sofia hatte gedacht, dass ihr Körper einfallen, ihre Haut alt und runzelig werden würde. – Wie bei Lestat im Film. Lestat, den sie in den Büchern von Anne Rice so sehr liebte. – Doch ihr unsterblicher Körper bezog seine Nahrung nicht aus sich selbst, ihre Haare wurden nicht dünner, sie
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