Zwillingsbrut
gefurcht.
»Hast du was rausgefunden?«
»Nicht viel«, sagte sie. »Immerhin hab ich den Barkeeper ausfindig gemacht, der im Lizards die Spätschicht hatte – diese Bar, in der Shelly zuletzt gesehen wurde.«
»Und?«
»Sie muss ziemlich betrunken gewesen sein«, erklärte Harding. »Der Typ, mit dem sie dort war, hat ihr einige Drinks ausgegeben, um auf ihren bevorstehenden Geburtstag anzustoßen.«
»Ein Freund?«
»Irgendein Kerl. Möglicherweise eine Zufallsbekanntschaft. Der Barkeeper war sich nicht sicher, obwohl er sich an den Typen erinnerte. Mitte bis Ende dreißig, gutaussehend, dunkles Haar, durchschnittlich groß. Ein Weißer, wenn auch mit dunklerer Haut, vermutlich sonnengebräunt. Die Augenfarbe oder irgendwelche besonderen Kennzeichen konnte er nicht nennen, aber er zeigte sich ziemlich interessiert an Shelly. Der Barmann hat sich gewundert, dass sie nicht gemeinsam gegangen sind. Müssen ganz schön geflirtet haben!«
»Ich nehme nicht an, dass der Typ mit Kreditkarte bezahlt hat?«
Harding lächelte und zeigte dabei ihre leicht nach vorn stehenden Schneidezähne. »So viel Glück werden wir wohl nicht haben.«
»Vermutlich nicht.«
»Außerdem gehen wir doch davon aus, dass es sich um Selbstmord handelt, oder etwa nicht?«, hakte die jüngere Kollegin nach.
»Doch, doch«, erwiderte Jonas ohne rechte Überzeugung. Auf jeden Fall würde er die letzten Tage in Shelly Bonaventures Leben durchgehen und all ihre Beziehungen unter die Lupe nehmen. Auch interessierte ihn, wer von ihrem Tod profitieren würde. Es hieß, sie sei für eine Rolle in einer Fernsehserie vorgesehen gewesen, außerdem ging das Gerücht, sie habe vor, ein Enthüllungsbuch zu schreiben. Doch zunächst einmal wollte er sich die Person vornehmen, die sie zuletzt lebendig gesehen hatte.
»Dann glaubst du also an eine versehentliche Überdosis?«, bohrte Harding mit zusammengekniffenen Augen weiter. Als Hayes nicht antwortete, nickte sie, wie um sich selbst und ihren zuvor gezogenen Schlüssen zuzustimmen. »Du denkst nach wie vor an Mord, hab ich recht?«, fragte sie dann.
»Ich weiß nicht, was ich denken soll. Noch nicht«, gab er zu. »Ich möchte nur nichts ausschließen. Lass uns mit dem Barmann reden, persönlich. Vielleicht können wir seiner Erinnerung an den geheimnisvollen Unbekannten noch ein wenig mehr auf die Sprünge helfen.«
»Du bist der Boss«, sagte sie, wobei ein Hauch von Sarkasmus in ihrer Stimme mitschwang.
»Da hast du recht«, neckte er sie, nahm seine Jacke vom Haken neben dem Schreibtisch und steckte seine Glock ins Schulterholster. »Dass du das bloß nicht vergisst.«
»Wie könnte ich, wo du mich doch jeden Tag daran erinnerst?«
»Das ist jetzt kein Grund, die Mimose zu spielen.«
»Hm«, sagte sie. »Dann lass uns gehen.«
Die alte Treppe knarrte unter seinen Füßen, als er langsam in den Keller stieg, der unterhalb der nachträglich angebauten Garage lag. Das Haus selbst war noch vor der Jahrhundertwende erbaut worden. Der vorletzten Jahrhundertwende.
Kühl und luftdicht, war der Keller einst zur Einlagerung von Ofenholz verwendet worden, jetzt wurden dort vorwiegend nicht länger benötigte Gegenstände abgestellt. Kisten, alte Möbel, kaputte Lampen, Weckgläser und Bilder längst vergangener Zeiten verstaubten dort.
Niemand verirrte sich je hier runter.
Außer ihm.
Und das auch nur, wenn außer ihm niemand im Haus war.
Spinnweben hingen von den offenen Balken der darüberliegenden Garage herab, wo er seinen silbernen Lexus abzustellen pflegte. Er ignorierte das Kratzen winziger Krallen auf dem Steinfußboden – Mäuse, Ratten, Eichhörnchen oder welche Nagetiere sich auch immer hier unten häuslich niedergelassen haben mochten. Ein, zwei Klapperschlangen könnten nicht schaden.
Er ging an Kisten voll altem Werkzeug vorbei zu seinem ganz privaten Reich, der alten Kammer, wo einst den Winter über Wurzelgemüse und Äpfel gelagert worden waren. Der alte Milchentrahmer seiner Urgroßmutter, ein Gerät, das seit über fünfzig Jahren nicht mehr benutzt worden war, hielt noch immer an der schweren, mit einem Vorhängeschloss gesicherten Tür Wache. Die uralte Waschmaschine, die früher in der Ecke gestanden hatte, gab es schon längst nicht mehr, nur der Rost an den Wänden verriet, wo die zugehörigen Wasserrohre geendet hatten. Er musste sich ducken, um sich nicht in den Leinen zu verheddern, auf denen vor langer, langer Zeit im Winter die Laken zum Trocknen
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