Zwillingsbrut
ihm reden, nie wieder sein Lachen hören können, nie wieder sehen, wie er Jeremy auf seinen breiten Schultern durch die Gegend trug, ihn nie wieder bis tief in die Nacht hinein lieben können. Binnen einer Sekunde war all das vorbei gewesen. Die ersten Jahre nach Joes Tod waren schwer gewesen. So schwer, dass sie Lust mit Liebe verwechselt und Luke »Lucky« Pescoli geheiratet hatte – eine Mogelpackung, wie sich später herausstellen sollte.
Also verteilte sie keine Binsenweisheiten und sagte stattdessen: »Mein Beileid, Mr. Alexander«, dann schob sie die Kleenex-Schachtel zu ihm hin.
Irgendwie gelang es ihr, seine Aussage aufzunehmen, und jetzt war sie mit ihrer Partnerin auf dem Weg zur Werkstatt des kriminaltechnischen Labors. Alvarez erklärte, Detective Jonas Hayes vom LAPD sei nicht davon überzeugt, dass Shelly Bonaventure Selbstmord begangen habe, obwohl alles darauf hindeutete.
»Es gibt da ein paar Dinge, die seiner Ansicht nach gegen einen Selbstmord sprechen«, sagte sie, als sie den Wagen auf einem für Dienstfahrzeuge ausgewiesenen Parkplatz in der Nähe der großen metallenen Werkstatttore abstellte.
»Genau wie in Jocelyn Wallis’ Fall?«, bemerkte Pescoli, die noch immer skeptisch war, was eine mögliche Verbindung der beiden Fälle anging, zumal Los Angeles über tausend Meilen von Grizzly Falls entfernt war.
»Ich habe Detective Hayes gebeten, mir eine DNS -Analyse von Shelly Bonaventure zu schicken«, sagte Alvarez.
»Um sie mit der von Jocelyn Wallis zu vergleichen? Meinst du das ernst?«
»Und mit der von Elle Alexander.«
»Ihr Tod war doch etwas ganz anderes«, bemerkte Pescoli.
»Ich weiß.«
»Für mich klingt das Ganze wie die Jagd nach einem Phantom. Außerdem geht ganz schön viel Zeit dabei drauf. Hältst du das wirklich für nötig?«
»Keine Ahnung«, gab Alvarez zu. »Könnte sein, dass das eine Sackgasse ist. Aber zumindest wissen wir dann, ob bei diesen Frauen eine genetische Verbindung besteht.« Sie öffnete die Jeeptür und stieg aus. »Ich schließe lediglich alle Möglichkeiten aus.«
»Und ich halte das für übereilt.«
»Hinweis zur Kenntnis genommen. Und unterdessen sterben weitere Frauen.«
»Schon gut, schon gut. Du hast gewonnen«, sagte Pescoli und versuchte, nicht eingeschnappt zu klingen. Alvarez war eine gute Polizistin, die auf die Wissenschaft, auf Beweismittel und nur selten auf ihr Bauchgefühl setzte. Diesmal schien sie sich auf alle drei Komponenten zu verlassen, was gar nicht schlecht war.
Zusammen betraten sie die Werkstatt und stießen auf die Mechaniker und das Forensikteam, die den Minivan untersuchten. Rund um das verbeulte Wrack des Dodge lag ein Durcheinander aus nassen Spielsachen, Kleidungsstücken und sich auflösendem Geschenkpapier. Durchweichte, zerknautschte Einkaufstaschen waren aufgerissen und flogen leer herum, nur die aus Plastik hatten den Ausflug in den eiskalten Grizzly River überlebt.
Die hintere Stoßstange sah aus, als sei sie gerammt worden, und die Fahrzeugspezialisten waren allesamt damit beschäftigt, den Wagen nach Beweisen abzusuchen. Man hatte Elle Alexanders Handy und Handtasche gefunden, und die tropfnassen Quittungen in ihrer Brieftasche belegten, dass sie die Einkäufe nur wenige Stunden, bevor ihr Minivan aus dem reißenden Fluss geborgen worden war, getätigt hatte.
»Irgendetwas ist dem Wagen mit voller Wucht auf die Heckseite geprallt«, erklärte Bart, einer der Techniker, ein dünner, drahtiger Mann mit Glatze und einer Brille, die zu groß für sein Gesicht war, während er sich die Hände an einem Tuch abwischte und auf das Wrack starrte. »Sieht nach einem weiteren Fahrzeug aus, nach Fremdeinwirkung. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass sie irgendwo gegengefahren ist – gegen ein Reh, einen Elch oder sonst was –, bevor der Wagen in den Fluss gestürzt ist. Ein Ausweichmanöver wäre denkbar, doch sie muss von hinten heftig angeschoben worden sein.«
»Der Ehemann gibt an, der Dodge sei in tadellosem Zustand gewesen. Sie haben ihn erst vor knapp sechs Monaten gekauft.«
Bart nickte, als bestätigte Pescoli, was er herausgefunden hatte, und betrachtete den Minivan kopfschüttelnd. »Tja, das hat jemand gründlich geändert.«
»Stimmt«, sagte Alvarez seufzend. »Ich denke, wir sollten herausfinden, wer.«
Bart lächelte schmallippig. »Ich bin nur froh, dass das euer Job ist, nicht meiner.«
Der Dienstag verstrich ohne besondere Vorkommnisse, und den Mittwoch, ihren freien Tag,
Weitere Kostenlose Bücher