Zwillingsbrut
folgte den fast zugeschneiten Fußspuren, die sie vorhin durchs Fenster gesehen hatte. Nicht denen, die zu den Nebengebäuden führten, sondern der schmalen, unauffälligeren Spur, die sich dicht am Haus hielt und um die Ecke bog, vorbei an einem schneebedeckten Rhododendron. Hier, an der Seite des Hauses, waren weitere Spuren zu sehen.
Wieder schlug der Ast gegen die Außenwand. Als Kacey die Taschenlampe darauf richtete, bemerkte sie, dass eine der Feuerleitern aus dem Fenster des unbenutzten Schlafzimmers hing, das zuvor offen gestanden hatte. Deshalb hatte es sich nicht zudrücken lassen!
Die Leiter schwankte laut rasselnd und klappernd im Sturm. Daher also kam das Geräusch! Dass ihr das nicht früher aufgefallen war!
Kacey rutschte das Herz in die Hose.
Schlagartig wurde ihr klar, dass Eli mit seinem gebrochenen Arm irgendwie die Leiter hinuntergekraxelt und in der eisigen Nacht verschwunden war.
In einer Nacht, die keine Gnade kannte.
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Kapitel 35
N oreen Johnson saß zusammengesunken auf der Pianobank, die schmalen Schultern nach vorn gebeugt, aber Alvarez bemerkte, dass sie den Kampf noch nicht aufgegeben hatte. »Um Himmels willen, Gerald, warum konntest du die Hosen nicht oben lassen? Erst Robert … und jetzt noch jemand? Wie konntest du nur?« Ihre Wangen waren flammend rot.
»Was geschehen ist, ist geschehen«, sagte Gerald matt. »Wir können später darüber sprechen. Ich denke, die Beamtinnen möchten uns ein paar Fragen stellen.«
»Es ist vorbei!«, flüsterte Noreen. »Das Leben, so wie es bislang für uns war, ist vorbei.«
Gerald räusperte sich und richtete den Blick auf Pescoli und Alvarez. »Was kann ich für Sie tun, Detectives?« Er lehnte sich vor und verschränkte die Hände zwischen den Knien.
Alvarez übernahm die Befragung. Gerald Johnson schwor, keinem der Opfer jemals begegnet zu sein. Er hatte nicht gewusst, dass sie Resultat seiner Samenspende waren, hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, bis Acacia Lambert am Nachmittag bei ihm aufgekreuzt war. Daher konnte er auch nicht sagen, ob eine der Frauen Feinde gehabt hatte, doch der Reaktion seiner Kinder bei der Familienkonferenz hatte er entnommen, dass sie genauso überrascht waren wie er.
Pescoli gab die stumme Beobachterin, und Alvarez bemerkte, dass ihre Partnerin mehr als einmal auf den Fernsehbildschirm mit dem Familienporträt blickte. Möglicherweise war das ihre Art, sich ihren Verdruss nicht anmerken zu lassen, aber nur zuzuhören und überhaupt nicht zu reagieren, entsprach so gar nicht ihrem Charakter.
Weshalb Alvarez ebenfalls einen schnellen Seitenblick auf den Fernseher warf, doch ihr fiel nichts Ungewöhnliches auf. Das Foto war vor Jahren aufgenommen worden und zeigte ein fünfundzwanzig bis dreißig Jahre jüngeres Ehepaar Johnson, das seine Kinder um sich herum versammelt hatte. Sie alle trugen aufeinander abgestimmte Kleidung: die Jungen weiße Hemden, dunkelblaue Westen und khakifarbene Hosen, die drei Mädchen rote Kleider. Auch ihre Namen waren in die Aufnahme eingefügt worden.
»Wir haben Ihnen nichts zu sagen«, beharrte Noreen und warf ihrem Ehemann einen eindringlichen Blick zu, bevor sie erneut versuchte, ihre Kinder per Handy zu erreichen. Vergeblich. »Wo stecken die bloß alle?«, murmelte sie und schloss die Augen. »Wissen sie denn nicht, dass wir sie brauchen?«
»Sie hatten sieben Kinder?«, schaltete sich Pescoli unvermittelt ins Gespräch ein.
»
Ich
hatte sieben Kinder«, stellte Noreen klar und schnaubte entrüstet. »Gerald hatte offensichtlich ein paar mehr.«
»Was ist mit Ihren Töchtern geschehen? Agatha-Rae und Kathleen?«, fragte Alvarez’ Partnerin weiter.
»Ich möchte nicht darüber sprechen.« Noreens Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Sie schloss die Augen, ihr Gesicht verzog sich schmerzerfüllt.
»Agatha war unsere Nachzüglerin«, antwortete Gerald an ihrer Stelle. »Bei der Geburt gab es Komplikationen, und wir wussten schon früh, dass sie das nicht unbeschadet überstanden hatte. Sie würde geistig … zurückbleiben. Aber sie war …«
»Ein Engel.« Noreen blickte Pescoli durchdringend an. »Ich verstehe nicht, was das mit Ihrer Befragung zu tun hat.«
»Wie ist sie gestorben?«, hakte diese nach.
Zunächst schien Noreen keine Antwort geben zu wollen, aber dann sagte sie zögernd und mit gesenktem Kopf: »Es war ein Unfall. Ich bin schnell einkaufen gegangen, war keine halbe Stunde fort. Clarissa, unsere älteste Tochter, sollte auf ihre
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